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KURATIERT VON ELISA CAPPELLARI, SABINE GAMPER UND STEFANO RIBA EXHIBITION DESIGN QUIRIN PRÜNSTER, ANNI SELIGMANN, MARTINO STELZER IN ZUSAMMENARBEIT MIT DEM BILDARCHIV, SÜDTIROLER LANDESARCHIV Nach monatelangen Auseinandersetzungen, Protesten und Verhandlungen, begann im September 1924 der Bau des großen Montecatini-Chemiekomplexes und des dazugehörigen Arbeiterdorfes in Sinich. Zum hundertjährigen Jubiläum dieses besonderen Ereignisses in der Geschichte Südtirols eröffnet das Foto Forum am 10. September die Ausstellung Sisto Sisti. Microcosmo Sinigo, die bis zum 28. September Einblicke in das Leben der Montecatini-Arbeiter in Sinich bietet. Diese wird am 24. September um 18 Uhr im Palais Rottenbuch durch eine Veranstaltung mit Andrea Di Michele, Professor für Zeitgeschichte an der Freien Universität Bozen, sowie durch die Projektion des Künstlervideos Plant Plant von Katrin Hornek vertieft. Sisto Sisti (1906–1981), Angestellter des Montecatini-Werks und autodidaktischer Fotograf, hinterließ über 13.000 Bilder, die heute im Landesarchiv Bozen, wichtiger Partner der Ausstellung, aufbewahrt werden. In Zusammenarbeit mit Elisa Cappellari wählte der Vorstand von Foto Forum über fünfhundert Fotografien Sistis aus, um die Öffentlichkeit in den Mikrokosmos von Sinich eintauchen zu lassen. Sisti porträtierte nämlich nicht nur die Fabrik und die Arbeit im Werk, sondern verschiedenste Aspekte des Lebens im Dorf, und erschuf so ein wertvolles Mosaik des Lebens tausender Arbeiter und ihrer Familien. Das Montecatini-Werk entstand 1924 an der Mündung des Baches Sinich, der dem südlich von Meran gelegenen Dorf den Namen gibt, ein damals ländliches und sumpfiges Gebiet. Die Wahl des Standorts war bedingt durch die Verfügbarkeit großer Mengen elektrischer Energie, die von den nahen Wasserkraftwerken stammte, und durch den politischen Willen, Tausende Italienerinnen und Italiener nach Südtirol zu bringen, um auf diesem Weg die sogenannte „ethnische Verdrängung“ umzusetzen. Die Anlage diente zudem dem faschistischen Imperativ der Autarkie. Um unabhängig zu sein sollte die Nation die inländische Produktion erhöhen und Nahrungsmittelimporte verringern. Dafür wurde in den 1920er Jahren mit der intensiven Produktion von stickstoffhaltigen Düngemitteln begonnen; genau diese wurden in Sinich produziert. Das Dorf Montecatini, später Borgo Vittoria genannt, beherbergte die Familien der Angestellten und war ebenfalls auf Autarkie ausgerichtet. Es gab dort eine Schule, eine medizinische Ambulanz, einen Lebensmittelverkauf, Gemeinschaftsräume, Gärten und einen Sportplatz. Sogar Freizeitaktivitäten wurden von der betrieblichen Freizeitorganisation geplant, die Ausflüge, Sportveranstaltungen, Kurse, Konzerte, Filmvorführungen und Versammlungen organisierte. Sistis Töchter Gianna und Silvana erzählten in einem Interview, das 2002 von der Journalistin Elisabeth Baumgartner geführt wurde, folgendes über ihren Vater: „Er war eine sehr neugierige Person, immer mit der Kamera um den Hals: bei der Arbeit, zu Hause, außerhalb des Hauses. Außerdem fertigte er Porträts von Freunden und Kollegen an. Auch von den Bauern und Bäuerinnen in der Umgebung, die ihm im Gegenzug Obst, Gemüse, Eier, Flaschen Wein gaben. Er war Sozialist, konnte Uniformen nicht ausstehen und trug immer – auch in der Fabrik – ein weißes Hemd, war aber mit allen befreundet, weil er ein großes Gemeinschaftsgefühl hatte.“ Vor dem Hintergrund des Faschismus, zeichnet Sisti das Bild eines Lebens – zwischen Maschinen, abgenutzten Bauteilen, Industrieanlagen, privatem und öffentlichem Leben – in dem die Gemeinschaft im Mittelpunkt steht. Die Ausstellung im Foto Forum wird am 24. September um 18 Uhr im Palais Rottenbuch, Armando-Diaz-Straße 8 in Bozen, durch eine vertiefende Veranstaltung mit Andrea Di Michele, Professor für Zeitgeschichte an der Freien Universität Bozen, ergänzt. Di Michele beschäftigt sich mit der Geschichte der Grenzregionen, des Faschismus und des republikanischen Italiens. Zuletzt veröffentlichte er Terra italiana. Possedere il suolo per assicurare i confini 1915–1954, erschienen bei Laterza. Am selben Abend wird das Künstler-Video Plant Plant von Katrin Hornek gezeigt, das 2021 als Abschluss einer einjährigen Forschung über die Montecatini von Sinich, im Rahmen ihrer Ausstellung in der ar/ge kunst Bozen und in Zusammenarbeit mit BAU, Institut für zeitgenössische Kunst und Ökologie, entstand.