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Unvollendet, aber nicht unfertig: In seiner Musik „wandert“ Franz Schubert in „ferne Gegend“ und fühlt jahrelang „den größten Schmerz und die größte Liebe mich zerteilen“, wie er im Juli 1822 in seinem rätselhaften Text „Mein Traum“ schreibt. Im gleichen Jahr arbeitet er an einer Sinfonie, die er – wie ein Wanderer, der zwar immer wieder neue Wege einschlägt, aber letztendlich kein Ziel erkennen kann – nach zwei vollendeten Sätzen nicht weiterschreibt und dann bis zu seinem frühen Tod unbeachtet in der Schublade liegen lässt. „Ich kann nirgendwo hinkommen, ich habe GAR kein Geld, und es geht mir überhaupt sehr schlecht. Ich mache mir nichts draus und bin lustig”, berichtet er dem Librettisten Eduard von Bauernfeld. Warum bricht er die Arbeit an dieser existenziellen Halbsinfonie ab? Weil dem vermeintlichen Torso eigentlich nichts mehr hinzuzufügen war? Schuberts „Unvollendete” wird erst 1865 in Wien uraufgeführt und avanciert zu einem Meilenstein des sinfonischen Repertoires. Das Konzert endet mit der „Restaurierung“ eines fragmentarisch überlieferten und ebenfalls unvollendeten sinfonischen Bildes: Ende der 1980er Jahre bearbeitet der italienische Komponist Luciano Berio, den Marco Uvietta an diesen Abend mit seinem neuen Werk „Wandering“ ehrt, die losen Skizzen zu Schuberts letzter Sinfonie und dessen Kontrapunkt-Übungen. Dass diese Noten aus Schuberts letztem Lebensjahr stammen und Entwürfe zu einer Sinfonie darstellen, wird erst 1981 bei der Überprüfung der Bestände der Wiener Stadt- und Landesbibliothek erkannt. Berio verwendet den Orchesterapparat, der „Unvollendeten“ und füllt die Lücken zwischen den Fragmenten mit einem Kitt aus Schubert-Zitaten und „polyphonen Reflexionen“. Schubert hört die Zukunft, Berio lauscht in die Vergangenheit: Das Ergebnis ist ein Klanggemälde mit visionären sinfonischen Strichzeichnungen – und den Farbklecksen aus dem 20. Jahrhundert.