Die Galerie Alessandro Casciaro freut sich, die neue Personalausstellung der Künstlerin Margareth Dorigatti, Warten, zu präsentieren.
In einer Zeit, in der die Regel des "alles jetzt" herrscht und Geduld keinen Platz in der täglichen Hektik hat, welche als Tendenz von der heutigen Gesellschaft diktiert wird, lädt uns Margareth Dorigatti ein, über das Warten und die vielen Facetten der menschlichen Seele in Bezug darauf nachzudenken. Die Briefkorrespondenz, das Leitmotiv der ausgestellten Werke, begann sich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts zu verbreiten, zeitgleich mit der Ausbreitung des schriftlichen Gebrauchs der Volkssprache. Im Laufe der Zeit, die bis dahin geltende Regel wurde somit frei von Zwängen, authentisch, explizit, spontan. Es hat sich bis zum vorigen Jahrhundert gehalten, bis das Aufkommen des digitalen Zeitalters jahrtausendealte Gewohnheiten in nur einem Vierteljahrhundert beseitigt hat. Die Künstlerin erweckt damit nicht nur eine aussterbende Tradition wieder zum Leben, sondern lässt sie zu einer autobiografischen, intimen und persönlichen Geschichte werden. Mysterium und Neugierde bekommen in ihren Gemälden ihren Platz. Der Inhalt der Briefe, der manchmal nur teilweise enthüllt wird, manchmal nur in den Kontext einer Zeit oder eines Ortes gestellt wird, in dem sie existierten, schafft eine unsichtbare Verbindung zum Betrachter. Die Beteiligung wird dann emotional, indem sie Gefühle aus einer Zeit hervorruft, die heute verloren gegangen ist. Sie wird jedoch in den emotionalen Erinnerungen, welche unsere persönliche Gegenwart beeinflussen, wieder lebendig. Wer das Warten auf eine Antwort, ein Ergebnis oder auch auf einen verspätet eintreffenden Brief erlebt hat, versteht den emotionalen Sturm, den dieses Warten auslöst. Entmutigung, Aufregung, Wut, Ablehnung, Hoffnung, Freude sind nur einige der Gefühle, die die Zeitspanne zwischen dem Verfassen eines Briefes und seiner Antwort beschreiben. Und genau an diesem Punkt setzt das Werk von Dorigatti an, eine Aussetzung, die widersprüchliche Existenzimpulse erzeugt.
Duccio Trombadori (Dichter, Journalist, Kunstkritiker und Dozent für Ästhetik an der Universität Rom „La Sapienza“) schreibt am 19. August 2022 in einem Brief an die Künstlerin:
„Liebe Margareth,
...So erkenne ich dich - und nicht erst seit gestern - an der mystischen Spannung, die deine gemalten Visionen beseelt, die seit jeher dein öffentliches Leidens-Tagebuch ausmachen; tief erlebt, und aufrichtig, aus dem Bedürfnis heraus, ein Licht zu sehen und einen klaren Weg zur Erlösung auf dem geheimnisvollen Pfad der Existenz zu erkennen.
…In deinen Gemälden hast du versucht, Gedanken und Emotionen zu verschmelzen, indem du visuelle Augenblicke festgehalten hast, die aus Farbfäden, geschickten Formen des Strichs, der Kontur und der Nuance bestehen. Dein Verdienst, das ich als ästhetisch und ethisch betrachte, besteht darin, dass du die Vision des Schnappschusses mit der idealen Synthese, dem Gefühl der außerhalb der Zeit isolierten Zeit, mit der evokativen Kraft eines verlorenen oder nicht abgeschickten Briefes verbunden hast, der zufällig von einem Fremden gefunden wird, der seine sentimentale Verwirrung in einer distanzierten Autopsie nachzeichnet.
Du bist eine scharfe, geistreiche, manchmal unbarmherzige Analytikerin deines eigenen, unseres Gefühls, liebe Margareth: Und in dieser expressiven und existenziellen Analyse liegt der Reiz deines "Epistolariums", wo die Farbverläufe, die Mischtechniken, die vielfachen Schichten und alle technischen Mittel, die dir zur Verfügung stehen, mit der spontanen emotionalen Wirksamkeit einer Liebkosung in das Bild eindringen und Harmonien in der Dissonanz signalisieren, ohne intellektualistische Anmaßungen, sondern vielmehr gemäß einem gewissen intuitiven Flusses, einer magnetischen Tugend des poetischen Schaffens in der Malerei.
…So hast du, liebe Margareth, einen schönen, symbolträchtigen visuellen Brief geschrieben: einen langen Brief von leidenschaftlicher menschlicher Nähe und unerschöpflichem Vertrauen in die Ausdruckskraft der Sprache der Malerei, wenn sie vom Atem der Poesie bewegt wird…“