ar/ge Kunst - À JOUR. Clemen Parrocchetti
Die Ar/Ge Kunst zeigt mit À JOUR die erste institutionelle Ausstellung zu Clemen Parrocchetti (Mailand 1923–2016), einer rebellischen und nonkonformistischen Künstlerin, die die 68er-Bewegung als Initialzündung für eine kreative, politische Wende erlebte. In diesen Jahren leidenschaftlicher feministischer Kämpfe bediente sich die Künstlerin der Mittel und Methoden häuslicher Arbeit, um politisch Stellung zu beziehen zu Fragen, die innerhalb der Bewegung auf theoretischer Ebene intensiv diskutiert wurden, so etwa die untergeordnete Rolle der Frau, Abtreibung und Scheidung als Werkzeuge der Emanzipation, häusliche Gewalt und sexuelle Befreiung. In der besonderen Stellung der Hausarbeit in Parrocchettis Werken spiegelt sich die Nähe der Künstlerin zum Collettivo Internazionale Femminista, das von Theoretikerinnen wie Silvia Federici, Mariarosa Dalla Costa und Leopoldina Fortunati in Padua gegründet wurde. Zu den zahlreichen politischen Aktionen des Kollektivs gehörte unter anderem auch die international betriebene Kampagne zugunsten der Bezahlung von Haushaltsarbeit. Dies war ebenfalls ein zentrales Anliegen des Gruppo Immagine in Varese (Cibaldi, Gandini, Parrocchetti, Secol und Sironi), dem sich Parrocchetti 1978 anschloss und mit dem sie noch im selben Jahr an der Biennale von Venedig teilnahm. Im Fokus der Ausstellung stehen vor allem Parrocchettis Werke der 1970er-Jahre. Der französische Ausdruck à jour, der der Schau ihren Titel gibt, ist ein Wortspiel und bezeichnet eine Technik der Stickerei, bei der durch das Ausziehen von Gewebefäden ein durchbrochenes Muster entsteht – und somit eine bestechende Ajourarbeit. Doch bedeutet mettre à jour auch, etwas sichtbar zu machen und ans Licht zu bringen: in diesem Fall die Situation der Frauen in ihrem Kampf gegen die patriarchalische Unterordnung. Zudem verweist der Ajour- oder Hohlsaum auf die von ständiger Wiederholung geprägte weibliche Arbeit im Haushalt und auf das Sich-Abarbeiten an Hindernissen, die die Künstlerin tagtäglich überwinden muss. Clemen Parrocchetti (1923–2016) lebte und arbeitete in Mailand. Nach Abschluss ihres Studiums an der Accademia di Brera zeigte sie ab 1957 ihre Werke in mehr als fünfzig Einzelausstellungen im In- und Ausland. Charakterstark entwickelte sie eine eigenständige künstlerische Praxis, die sich für die Protestformen der 68er-Bewegung öffnete und eine „in Dingen ausgedrückte“ feministische Sprache begründete. Diese stand im Einklang mit einer politischen Sicht auf die unbezahlte weibliche Produktions- und Reproduktionsarbeit und die sich hieraus ableitenden Forderungen im Umkreis des Movimento di Lotta Femminista in Padua. Kuratiert von Marco Scotini, Francesca Verga und Zasha Colah