Elektro, Sokrates und Narrenlaune
Das deutsche Theater im Frühlingsmonat März
Der Winter ist vorbei und die Natur gerät in Wallung. Auch auf den Bühnen des Landes tummelt sich allerlei. Zahlreiche illustre Gäste erwarten Sie beispielsweise bei den Meraner Kabarett Tagen zwischen 13. und 30. März, aber auch sonst wird einiges geboten.
Mit einer Faschingsüberraschung beglückt uns das Improtheater in der Bozner Carambolage (04.03.). Hier legen sich die Narren mit dem Winter an, denn der soll endlich Leine ziehen. Also schmeißen Sie sich ins Kostüm und schauen Sie vorbei, denn hier kriegt die Fantasie Flügeltüren! Hoffentlich bleibt die Bühne dabei unversehrt, denn als nächste hat sich Eva Eiselt angekündigt (7.-8.03.). In „Wenn Schubladen denken könnten“ behandelt sie das Leben wie eine riesengroße Schrankwand. Schlüssel? Auf der Ablage. Ladekabel? Irgendwo. Partner? Bestimmt in der Garage. Oder abgeschafft. Eiselt aber dreht unsere handelsüblichen Laden einfach mal auf links. Es folgt Lars Reichow mit seinem „Wunschkonzert“ (14.-15.03.). Der preisgekrönte Moderator ist Kabarettist, Pianist sowie Sänger mit einer klaren Haltung: gegen Nationalismus, Rassismus und für weltoffenes Denken und Handeln. „Reichows Programm ist das, was Kabarett sein soll: politisch, frech, polarisierend, provozierend und sehr unterhaltsam“ (Mitteldeutsche Zeitung). Einen Crossover-Kabarettabend zwischen Musik und Comedy bieten auch Georg Clementi, Ossy Pardeller & Michael Ferner mit „Von Sokrates bis Putin in 90 Minuten“ (21.-22.03.). Darin erzählen sie die 2500-jährige Geschichte der westlichen Zivilisation. In ihrem jahrhundertelangen Reisen treffen sie u.a. auf Christoph Kolumbus, Galileo Galilei und Friedrich Nietzsche. Ein spannendes Abenteuer mit ungewissem Ende.
In der Dekadenz in Brixen ist die Eigenproduktion Himmelfahrtsrisse. Bilder zu Alexander Langer zu sehen (bis 16.03.). Langer war prägender Kopf der 68er-Bewegung sowie Friedens- und Umweltaktivist. In der Inszenierung tritt er mit unterschiedlichen Menschen in Dialog. Im Fokus stehen dabei die Fragen, die ihn zeit seines Lebens bewegten: Wie schaffen wir Verständigung zwischen Mehrheit und Minderheit, Nord und Süd, Reich und Arm? Wie gelingt es, Brücken zu bauen, statt Gräben zu vertiefen? Ein inspirierender Abend, der Vergangenheit und Gegenwart verbindet. Anschließend wird Tom auf dem Lande wiederaufgenommen: ein Psychodrama voller Lügen, Leidenschaft und nicht ausgesprochenen Wahrheiten (ab 23.03.). Tom, ein junger Werbetexter, fährt in die Provinz, um dem Begräbnis seines Liebhabers Guillaume beizuwohnen. Er gibt sich als Arbeitskollege aus, weil dessen Mutter nichts von der Homosexualität ihres Sohnes ahnte. Und sein Bruder tut alles, damit dies auch so bleibt. Zwischen den Männern entwickelt sich dadurch in der Abgeschiedenheit des Hofes ein gewalttätiges, aber auch erotisch aufgeladenes Spiel, dem sich Tom auf fatale Weise fügt.
Auch das Stadttheater Brixen zeigt eine Eigenproduktion, und zwar Achtsam Morden nach der erfolgreichen Krimiserie von Karsten Dusse (ab 08.03.). Björn Diemel, ein gestresster Erfolgsanwalt mit einem Naheverhältnis zur Mafia, gibt dem dezenten Druck seiner Frau nach und besucht einen Achtsamkeitscoach. Aber sobald er beginnt, das Leben nach dessen Regeln auszurichten, gerät alles aus den Fugen. Was tut der Mafiaboss im Kofferraum? Wem gehört der abgeschnittene Finger? Und wird aus dem Kindergarten tatsächlich ein Bordell? Der Endkampf auf dem Schlachtfeld der Work-Life-Balance hat begonnen.
Im Theater in der Altstadt Meran steht Gegen den Fortschritt von Esteve Soler auf dem Programm (ab 11.03.). In sieben grotesk-schaurigen Szenen hinterfragt der Autor darin das Ideal des gesellschaftlichen Fortschritts. Ein Ehepaar sieht sich etwa mit den Grenzen seiner Toleranz konfrontiert, die kaum das eigene Wohnzimmer überwinden. Ein frustrierter Bürohengst gründet seine eigene Religion, ein Märchen wird blutige Realität und eine Robbe rächt sich grausam an den Menschen. Solers Blick auf unsere Verhaltensweisen scheint düster und absurd, jedoch entspricht er der Realität. Seine Texte halten dem Publikum einen Spiegel vor und rütteln es auf. Ist die westliche Gesellschaft tatsächlich so fortschrittlich, wie sie gerne behauptet?
Um einen besonderen Strafbestand geht es bei den Vereinigten Bühnen Bozen, denn in Die Entführung der Amygdala wird eine Frau von ihrem eigenen Gehirn verschleppt (ab 14.03.). Zumindest von einem Teil davon, denn als sie nach einem Fahrradunfall bewusstlos auf der Straße liegt, nutzt ihre Amygdala, also jener Teil des Gehirns, der uns in Gefahrensituationen warnt, die Gunst der Stunde und entführt sie aus ihrem Leben. Alles ist vergessen: dass sie Mutter ist, einen Mann hat, einen Kredit abbezahlen muss. Anna Gschnitzer beschreibt in diesem ungewöhnlichen Stück eine Frau, die ihr Leben aus einer radikal veränderten Perspektive erprobt.
Das Südtiroler Kulturinstitut trumpft mit gleich drei Gastproduktionen auf. Den Anfang macht Der Talisman von Johann Nestroy (12.-13.03. Waltherhaus Bozen). Titus Feuerfuchs, ein rothaariger Vagabund, sucht vergeblich eine Arbeit, denn die Vorurteile ihm und seinen Haaren gegenüber wiegen schwer. Doch dann rettet er Monsieur Marquis, einem Frisör, das Leben und bekommt zum Dank eine rabenschwarze Perücke als Talisman geschenkt. Binnen kürzester Zeit mogelt er sich damit virtuos nach oben: eine hochkomische und bitterböse Gesellschaftskomödie über das Gift des Vorurteils. In den anderen Produktionen spielt beide Male Schauspieler Philipp Hochmair die Hauptrolle, der mit seiner Band „Die Elektrohand Gottes“ die Bühne rockt. Zuerst in Der Hagestolz nach Adalbert Stifter (20.03. KiMM, Meran), in dem es um einen Junggesellen geht, der niemals heiraten möchte. Als er seine erste Arbeitsstelle antreten soll, verlässt er das behütete Elternhaus und macht sich auf dem Weg zu einem Onkel, der sich sein ganzes Leben lang vor Liebe und Zuneigung verschlossen hat. Es entspinnt sich ein Dialog zwischen den Generationen, die sich über die existenziellen Fragen des Lebens austauschen. Am zweiten Abend zeigt die Combo Schiller Balladen Experiment (21.03. Kulturhaus Schlanders). Wenn Hochmair und „Die Elektrohand Gottes“ auf Friedrich Schiller treffen, wird Literatur zu einem Versuchsfeld, das weder leise noch langweilig ist. Wir spüren das Abenteuer im „Ring des Polykrates“, wir zittern mit dem Ritter, der in „Der Handschuh“ eben diesen für eine Dame aus der Raubtier-Arena holen soll oder stürzen mit dem „Taucher“ ins Meer, wo es „wallet und siedet und brauset und zischt“.
[Adina Guarnieri]