Von der (Ohn-)Macht der Zivilcourage
Wie Franz Postingel trotz aller Widerstände seinen Prinzipien treu blieb
Im kürzlich vorgestellten Buch „Zwischen Pflicht, Macht und Menschlichkeit“ erzählt Franz Postingel aus seinem bewegten Leben und aus seiner Zeit als Pfleger in der ehemaligen „landwirtschaftlichen Siedlung für ruhige Geisteskranke“ Stadlhof bei Laimburg/Pfatten.
Älteren Südtirolerinnen und Südtirolern wird Stadlhof ein Begriff sein, hieß es doch manchmal bei Ungezogenheit: „Pass auf, schusch kimsch noch Pergine oder Stadlhof!“ Die beiden Strukturen arbeiteten auch jahrelang eng zusammen. Im Jahre 1972 kam Franz Postingel 25-jährig als Pfleger dorthin, auf Anregung seines Vaters. Denn der elterliche Hof warf zu wenig ab für zwei Familien, und ein Posten im Sanitätsdienst erschien dem kriegsmüden Vater als erstrebenswert für den Sohn, weil man in einem möglichen Dritten Weltkrieg nicht als Soldat eingezogen hätte werden können.
Der Stadlhof bei Laimburg/Pfatten
Von 1891 bis 1924 war der abgelegene Stadlhof im Südtiroler Unterland bereits eine Arbeits- und Erziehungsstätte für „auf Abwege geratene und gefährdete Jugendliche“. Ein Bootcamp, wäre man auf Neudeutsch geneigt zu sagen. In der Tat waren die angewandten Betreuungsmethoden und Regeln Jahrzehnte später, als die Struktur eine psychiatrische Anstalt war, auch höchst umstritten und veranlassten Franz Postingel, mehrmals bei den zuständigen Stellen zu intervenieren, um sowohl dem Pflegepersonal als auch den Heiminsassen einen erträglichen Alltag zu ermöglichen. Franz Postingel hatte stets einen menschlichen Blick auf seine Patientinnen und Patienten und versuchte, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. „Ich habe von psychisch Kranken viel gelernt, was auch sehr zu meiner Lebenserfahrung beigetragen hat. Solche Menschen haben meistens einen ausgeprägten Sinn für Recht und Gerechtigkeit, was meinem Charakter sehr entgegenkam,“ schreibt der Aurer in seinem Buch.
Arbeit in der Pflege und in der Landwirtschaft
Männer als auch Frauen waren im Stadlhof untergebracht, anfangs in großen Schlafsälen, später in kleineren Zimmern. Es gab einen Park, einen Sportplatz, einen Garten mit Glashäusern, Obstanlagen, Weinberge und Stallungen, eine Tischlerei und eine Schlosserei. In der Landwirtschaft arbeiteten sowohl Patienten als auch Pflegepersonal. Nicht umsonst hatte der Direktor der Anstalt, Bruno Frick, die Einstellung des Personals als „infermiere operaio“ veranlasst – damit konnten Pflegerinnen und Pfleger zu allen möglichen Arbeiten herangezogen werden. In mehreren Episoden erzählt Postingel, dass sich durch die Tätigkeiten in der Landwirtschaft mehr als einmal gefährliche Situationen für die Betreuten wie die Pfleger ergaben. Zu allem Überfluss wurden Überstunden nicht bezahlt; Bevorzugungen, Schlampereien und Ungerechtigkeiten waren an der Tagesordnung.
Franz Postingel und die Gerechtigkeit
Gegen all dies stemmte sich Franz Postingel mit aller Kraft, denn von seinem Vater hatte er vor allem eins gelernt: sich selber und seinen Überzeugungen treu zu bleiben und sich von nichts und niemandem verbiegen oder brechen zu lassen. Er setzte sich für die Patientinnen und Patienten ein, die willkürliche Regeln zu befolgen hatten, welche auch fürs Pflegepersonal keinen Sinn ergaben, sondern oft genug noch mehr Arbeit bedeuteten. Er half seinen Arbeitskolleginnen und -kollegen, um gerechte Rahmenbedingungen bei der Pflege psychisch Kranker zu erreichen, oftmals gegen erbitterte Widerstände bis hinauf in die höchsten Kreise des Sanitätsbetriebs. 1999 ging Franz Postingel in den Ruhestand. Auf sein Leben blickt er mit einer gewissen Zufriedenheit zurück, auch wenn es ihm ein Anliegen war, die über Jahre währenden Missstände im Stadlhof in seinem Buch aufzuzeigen. Und dabei hätte genau er, Franz Postingel, allen Grund gehabt, mit dem Leben zu hadern: der Vater war vom Krieg gezeichnet, als Elfjähriger verlor er die Mutter, bereits als Kind musste er überall mithelfen. Doch all dies scheint ihn stärker gemacht zu haben, denn wie er selbst schreibt: „Beliebt zu sein ist eigentlich ganz einfach: Man muss nur sagen, was die anderen hören wollen. Und genau das war nie mein Ding.“
[Sibylle Finatzer]
Franz Postingel – Zwischen Pflicht, Macht und Menschlichkeit
Redaktion: Rebecca Postingel, Rohtext: Cristina Decarli von Fioreschy effekt!
Buch, 174 Seiten, ISBN 979-12-5532-082-1, 25 Euro