Wo kommen wir her, wie weit gehen wir?
Südtirols Bühnen stellen sich im März den großen Fragen
Herkunft, Respekt, aber auch der Umgang mit der Vergangenheit – der eigenen und jener der anderen, der realen sowie erfundenen Menschen um uns herum. Der Start in den Frühling gestaltet sich spannend.
Ein zweisprachig skurriles Stück über das Gefangensein in Konstrukten und die Frage, ob und wie man diesen entfliehen kann: Das ist Caligula im Stadttheater Bruneck (ab 22.03., Regie: Viktoria Obermarzoner). Darin geht es um eine dreiköpfige Familie und einen Vogel namens Caligula. Alle reden aneinander vorbei, hören kaum zu und geben niemals ihre Gefühle preis. Caligula wiederholt Wörter, nimmt Gespräche auf und weiß bald mehr über die Familienmitglieder als sie selbst. Das Gefüge beginnt zu bröckeln und alle suchen nach ihrer Freiheit, auch der Vogel. Wer wird Sie finden? Und gibt es Sie überhaupt? Das Stück von Iaco Rigo auf Ladinisch und Deutsch ist Teil des europäischen Minderheiten-Projekts phonè.
Das Südtiroler Kulturinstitut zeigt Die Ärztin, frei nach „Professor Bernhardi“ von Arthur Schnitzler (13.-14.03., Waltherhaus Bozen, Regie: Stefan Pucher). Während bei Schnitzler einem Priester der Zutritt in das Krankenzimmer einer Minderjährigen verwehrt wird, die nach einem Abtreibungsversuch im Sterben liegt, verwandelt der britische Autor Robert Icke den Plot in einen Moral-Thriller: Ruth Wolff ist Ärztin und leitet eine renommierte Alzheimer-Klinik. Dort trifft sie auf einen schwarzen Priester, der sich von ihr diskriminiert fühlt. Und die Eltern des Mädchens sind einflussreiche Sponsoren der Klinik. Wolff findet sich bald im Zentrum eines Shitstorms wieder und das intrigante Kollegium wittert Aufstiegschancen… „Sehr ergreifend, aber immer irre und saukomisch“, so das Fazit von „Nachtkritik“. Herkunft ist das zweite Stück auf dem Spielplan des Kulturinstituts (19.03. Schlanders, 20.03. Brixen, 21.03. Meran). „Woher kommst du?“ – auf diese Frage gibt es für Saša Stanišić keine eindeutige Antwort. Ist damit die geografische Lage des Kreißsaals gemeint? Die Staatsgrenze zum Zeitpunkt der letzten Wehe? Oder der eigene Dialekt? Der Autor wurde in einem Land geboren, das es nicht mehr gibt: der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. Im Roman „Herkunft“ erinnert er sich an einen Ausflug mit seiner dementen Großmutter in das Bergdorf Oskoruša bei Višegrad. Während sie ihre Erinnerungen verliert, hebt er das Konstrukt von Heimat und Herkunft aus den Angeln.
Bei den Vereinigten Bühnen Bozen ist noch bis 9. März Die treibende Kraft von Thomas Arzt zu sehen (Regie: Rudolf Frey). Ein Ingenieur plant einen Staudamm an der Etsch, der zwar Energie für ganz Italien produziert, aber ein Dorf und die umliegenden Felder flutet. 70 Jahre nachher sucht eine Forscherin nach einem Mann, der alles miterlebt hat und noch immer auf den Turm starrt, auf den Turm mitten im See. Vor dem Hintergrund der Seestauung am Reschen wirft der Autor einen Blick auf die kleinen und großen Schicksale und die Macht des Kapitals. Wie weit reicht der Fortschrittsglaube der Menschen?
Das Kammerspiel Das weiße Dorf von Teresa Dopler gastiert in Neumarkt (13.+15.03., Mesnerhaus) und Lana (22.03. öffentliche Bibliothek). Manchmal werden die Menschen älter und treffen nach Jahren unverhofft und unverheiratet wieder aufeinander, und zwar viel zu gut angezogen auf einem Kreuzfahrtschiff irgendwo auf dem Amazonas. Sie erinnern sich an damals, als sie sich geliebt und zum Wohl ihrer Karrieren verlassen hatten. Der Fluchturlaub ans andere Ende der Welt verlangsamt das Rad der Zeit: Sie flirten und bestätigen sich gleichzeitig, dass es nichts zu bedeuten hat. Und dennoch regt sich eine gefährliche Leidenschaft in den beiden: Die Sehnsucht nach etwas, das diese angeblich perfekten Leben übersteigt.
In der Brixner Dekadenz und der Bozner Carambolage gibt man sich im März die Klinke in die Hand: den Anfang macht René Sydow mit “In ganzen Sätzen“ (01.-02.03 Bozen, 03.03. Brixen). Die Alten jammern, die Jungen tweeten, die Assis prollen, nur die Klugen sind verstummt; aber damit ist jetzt Schluss, denn Sydow spricht an und aus, was sonst totgeschwiegen und zerredet wird. Er seziert Herrschaftssprache und Internetgebrabbel, entlarvt Phrasendrescher und Wortverbieter. Und wenn das Publikum sich fragt: „Darf man das so sagen?“, dann antwortet er: „Ja. Aber nur in ganzen Sätzen.“ Als nächstes ein Comeback: Dietmar Gamper. Nach einem langen Rückzug in die Wälder des Tisner Mittelgebirges, ließ er sich auf wiederholtes Drängen von Seiten der Allgemeinheit dazu überreden, auf die Bühne zurückzukehren. In Die Wohret und nicht as wos die bleckete Wohret rechnet er mit seinen bislang erschaffenen Figuren ab, die ihn bis heute verfolgen (14.03. Bozen, 15.-16.03. Brixen). In Ermangelung von Ideen erzählt er in diesem Solostück nichts als die unverhüllte Wahrheit, in der Hoffnung, dass sich seine Figuren aus dem Ganzen raushalten. Makaber, bitterböse und wahr: Ein Gamperstück eben. Abschließen tut den Reigen der Kleinkunstbühnen die Kay Ray Show (21.-22.03. Bozen, 23.-24.03. Brixen). Seine Frisur gehört zu Südtirols Bühnen wie der Lidschatten aufs Auge. Ein Könner, der für einen Gag seine Oma verkaufen würde. Ein göttlicher Gaukler. Ein Spaßmacher ohne Furcht und Tadel. Ein sich immer wieder wandelndes Naturtalent. Ein Provokateur, der das gesamte Genre mitgeprägt und beeinflusst hat. „Ein Gesamtkunstwerk, ein Einmannzirkus. Du bist der Sensenmann des Humors“, das schreibt Torsten Sträter über Kay Ray. Nur in der Carambolage zu sehen sind hingegen Suchtpotential mit ihrem „Bällebad forever“ (07.-08.03.). 10 Jahre gibt es sie schon, das ist ein Jahrzehnt „Titten, Tasten, Temperamente“. Auf Tour mit der Deutschen Bahn, digitale Shitstorms und dazu noch Spliss: Deutschlands erfolgreichstes Alkopop-Duo bleibt trotz aller Widrigkeiten behaart aber fair. Sie rocken als Musik-Comedy-Queens durch die krisengeplagte Welt und räumen nebenbei die wichtigsten Preise ab. Und weil‘s so schön ist steht am 12. März wieder das Improtheater auf dem Programm. Im Theater öffnen sich Türen, hinter denen die tollsten Geschichten passieren. Frisch erfunden und immer wahrhaftig. Und wer im Publikum sitzt, hat Gold im Mund. Sie müssen es nur auf die Bühne spucken! Trauen Sie sich?
[Adina Guarnieri]