Von Spenderorganen und Eremiten
Abwechslungsreich gehen Südtirols Bühnen durch den Herbst
Lauschig warm ist es in den Theatersälen und folglich gibt es im trüben November nichts Besseres, als sich dort die Abende zu vertreiben. Lesen Sie hier, wo man im Herbst theatertechnisch auf seine Kosten kommen.
Beginnen wir mit einem Highlight: der europäische Kleinkunstwettbewerb Niederstätter surPrize in der Bozner Carambolage (ab 6.11.). Es defilieren gekrönte Häupter, denn alle Teilnehmenden haben bereits den einen oder anderen Preis abgesahnt. Und wer ihn diesmal bekommt, das entscheidet das Publikum! Dieser Herausforderung stellen sich der Franzose Julien Cottereau, Meister der Pantomime, der exzentrische Performance-Künstler Trygve Wakenshaw aus Neuseeland und das multikulturelle Trio Tridiculous. Und wer nun glaubt, besser geht’s nicht, der darf Mackefisch mit „Harmoniedergang“ nicht verpassen (15.-16.11.). Irgendwo zwischen Kabarett, Poetry-Slam und Konzert, nimmt das Duo gnadenlos die Gefühlslage der Gesellschaft ins Visier. Mit einer wüsten Mischung an Instrumenten, vom Banjo bis zum Gameboy, verbreiten die beiden eine ansteckende Energie. Am 19. folgt das Intermezzo des Improtheaters, ehe Jess Jochimsen den Monat ausklingen lässt. Sein „Vier Kerzen für ein Halleluja” (29.-30.11.) fällt in den Advent, denn er will vor allem eins: dem Fest die Liebe zurückgeben. Und er tut das mit Wutausbrüchen und schlimmen Urlaubsbilder. „Jochimsens Bühnenprogramme sind weit mehr als Kabarett: es sind tragikomische Roadmovies, sehr anrührend, sehr schlau und wunderbar lachen-machend“, das schrieb die AZ.
Um einen erfolgreichen Schauspieler geht es in Nebenan, das vom Südtiroler Kulturinstitut ins Bozner Waltherhaus geholt wird (19.-21.11.). Oliver gewinnt auf ganzer Linie: im Job und auch privat. Ein Casting in London soll seine Karriere international beflügeln, doch vorher spricht ihn vor seinem Berliner Loft ein neuer Nachbar an, der viele – zu viele – Details aus seinem Leben kennt. Der Fremde entpuppt sich als Mitarbeiter eines Kreditkartenunternehmens, der sich dank der Kontobewegungen ein exaktes Bild vom Leben seiner Kunden macht: Die untreue Ehefrau, Internet-Surfereien, unsichere Filmprojekte. Langsam dämmert Oliver, dass es sich um den ausgewieften Racheplan eines Wendeverlierers handeln könnte, doch da hat das Psychoduell bereits begonnen...
Der Traam, eine Koproduktion der Südtiroler Städtetheater, ist im November im Stadttheater Bruneck (bis 8.11) und im Theater in der Altstadt Meran (ab 17.11.) zu sehen. In diesem Musical über Liebe und Wohnen der Gebrüder Gamper nach einer Vorlage von Selma Mahlknecht geht es um Milena und ihren Freund Alex. Sie sehnt sich nach einer Wohnung in der Stadt, er hingegen möchte sein Heimathaus am Steilhang ausbauen und ein ruhiges Leben führen. Im Weg steht ihm dabei Onkel Dave, der als Alt-Hippie wenig Verständnis hat für Alex‘ Spießertum. Humorvoll behandelt das Stück die großen Themen unserer Zeit, von der Wohnungsnot bis hin zum lieben Kapitalismus. Und eine weitere Koproduktion der Städtetheater tourt durchs Land: 72 Stunden. Eine Anklage (Waltherhaus Bozen, Kulturhaus Schlanders, KIMM Meran und Astra Brixen). Jeden dritten Tag stirbt in Italien eine Frau durch die Hand eines Mannes. Der Mörder ist zumeist der Partner, der Ex-Partner, ein Stalker oder ein abgewiesener Bewerber. Zu häufig finden Femizide statt, als dass man noch von Einzeltätern sprechen könnte. Eine künstlerische Intervention, die unsere Sinne schärft für eine Thematik, die aktueller ist denn je.
An verschiedenen Orten zugleich, das sind auch die Vereinigten Bühnen Bozen mit dem Kinderstück Das Traumfresserchen (ab 16.11) von Michael Ende und Ein ganzes Leben (ab 22.11.). Endes Geschichte erzählt von einer Prinzessin, die abends nie ins Bett gehen will. Der Grund: Sie hat böse Träume und niemand kann ihr dabei helfen. Eines Tages geht die Königin in die Welt hinaus und bereist alle Länder auf der Suche nach einem Mittel gegen schlechte Träume. Da begegnet sie dem Traumfresserchen, dem nichts besser schmeckt als böse Träume… „Ein ganzes Leben“ basiert hingegen auf dem Roman von Robert Seethaler und seinem Protagonisten Andreas, einem Waisen, der als Kind von seinem Onkel geschlagen wurde. Trotz physischer und psychischer Wunden, befreit er sich von der Vergangenheit, wird selbstständig in einer kleinen Pachthütte und findet die Liebe. Doch dann nimmt ihm eine Lawine alles, was er hat. Wird er von vorne anfangen? Infos zu den Spielorten: www.theater-bozen.it.
In der Dekadenz in Brixen ist Hosea Ratschiller zu Gast (8.11.). „Witz mit Eleganz für ein Aufatmen im permanenten Schock“, so beschreibt er sein Programm. Ausgehen tut er dabei von einer Frage seiner Tochter, die wissen möchte, was das Besondere an Österreich sei. Und schon ist der Papi überfragt. Von Klima und Zeitenwende war da noch gar keine Rede. Ein entfesselter Abend über Heimat, Menschenwürde und Zugbegleiter. Auch Christoph und Lollo (22.11.) stellen sich eine Frage, und zwar eine inflationäre: „Na, alles gut?“ – „Ja, alles gut“. Wann wurde „alles gut“ zu einer strapazierten Beschwörungsformel? Wahrscheinlich irgendwann zwischen dem Klopapierhamstern, dem Influencer-Wahnsinn und all den anderen Katastrophen. Dabei: Es ist nicht alles gut! Aber eine gute Nachricht gibt es: Christoph & Lollo haben der absurden Gegenwart einiges entgegenzusetzen. Warum? Weil es ja sonst niemand macht. Kurz vor Schluss kommt noch Xaver Schumacher mit „Das Orakel von Selfie“ an die Reihe (29.11.). Antike Sagen werden von ihm ins Heute geholt. So wird die Medusa zur metoosa, der trojanische Krieg zur Geburtsstunde des Massentourismus und Sisyphos quält sich mit online-Buchungen. Schumachers Religionsbekenntnis: griechisch-mythologisch. Doch seine Rituale und Orgien stoßen nicht immer auf Verständnis.
Hoch oben im Norden, bei der Stadtbühne Sterzing, steht Die Niere auf dem Programm (ab 2.11.). Kathrin bräuchte sie dringend, eine neue Niere. Ihr Mann Arnold hat dieselbe Blutgruppe, doch ist er auch bereit, zu spenden? Er zögert. Als sich dann aber beider Freund Götz ohne Zustimmung seiner Frau sofort bereit erklärt, als Spender einzuspringen, bricht ein regelrechter Kampf aus – um das Organ und um das Gleichgewicht zwischen den Paaren. So manch verborgene Herzensangelegenheit wird aufgedeckt und dabei ist eines sicher: „Die Niere“ lässt niemanden kalt.
[Adina Guarnieri]