Von Musicals und verwirrten Geistern
Der Oktober auf Südtirols großen und kleinen Bühnen
Wenn man dachte, man habe schon alles gesehen, dann kommt flugs was um die Ecke, das frischen Wind auf die Bretter bringt. Und so gibt es im Herbst wieder einiges zu erleben, von Zusammenarbeiten bis hin zu prominenten Gästen und Ensembles ist alles dabei…
…wie beim Südtiroler Kulturinstitut, das drei Produktionen ins Land holt. Den Anfang macht Gott von Ferdinand von Schirach (02.-03.10., Waltherhaus Bozen). Darin geht es um die Frage, ob wir selbst über unseren Tod entscheiden sollen. Richard Gärtner, 78 Jahre alt, will trotz bester Gesundheit nach dem Tod seiner Frau nicht mehr leben. Doch dafür muss er vor einem Ethikrat seinen letzten Willen besprechen und am Ende entscheidet das Publikum selbst über den Ausgang der Verhandlung. Dramatisch ist auch Draußen vor der Tür von Wolfgang Borchert (08.10. Kulturhaus Schlanders, 09.10. Forum Brixen). Beckmann kehrt, wie einst Borchert, 1945 aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Seelisch zerrüttet durchwandert er die Stadt, stets die quälende Frage der Verantwortung mit sich tragend. Ohne direkte Kriegshandlung beschreibt das Stück die Gewalt in all ihrer Grausamkeit. Es wird aber auch gelacht, und zwar mit Die Vodkagespräche von Arne Nielsen (16.10. Stadttheater Sterzing, 17.10. KiMM Meran). Zwei Schwestern treffen sich nach der Beerdigung ihres Vaters. Alles, bis auf die Villa, hat er einer Stiftung vermacht. Sie spülen den Kummer mit Alkohol fort und schwelgen in Erinnerungen – mal liebevoll, mal feindselig. „Ein sehr komischer, durchaus auch trauriger, alles in allem ziemlich phänomenaler Abend“, so das Hamburger Abendblatt.
Das Stadttheater Bruneck zeigt bis 11. Oktober Prima Facie, den preisgekrönten Monolog von Suzie Miller. Tessa hat sich ihren Posten als Strafverteidigerin hart erkämpft. Gesetzestreu sieht sie in der Unschuldsvermutung das Fundament einer zivilisierten Gesellschaft. Deshalb sucht sie stets nach Lücken in der Anklage, prüft akribisch die Aussagen. Diese werden im Kreuzverhör genauestens auseinandergenommen, auch wenn es sich dabei um Opfer vermeintlich sexueller Übergriffe handelt. Doch dann passiert Tessa etwas, womit sie nie gerechnet hätte und während ihr Leben zusammenbricht, erlebt die zum ersten Mal die Vorgänge im Gerichtssaal von der anderen Seite.
Im Theater in der Altstadt Meran wird’s klassisch-modern, denn Elektras Krieg (ab 09.10.) transportiert den Mythos in die Gegenwart. Sehnsüchtig wartet Elektra auf ihren Bruder Orest, der zehn Jahre zuvor in den Trojanischen Krieg gezogen ist. All ihr Hass richtet sich seither gegen Mutter und Stiefvater, die sie für den Tod ihres Vaters Agamemnon verantwortlich macht. Und als Orest endlich zurückkehrt, will Elektra mit ihm jene gerechte Gesellschaft aufbauen, von der sie seit ihrer Kindheit träumen. Autorin Nino Haratischwili über Elektras Zerrissenheit: „Ich wollte die Spaltung meiner Welt, wie ich sie empfinde, darstellen: in Ost und West, Christentum und Islam; das Fremde, das einen ängstigt und überfordert, thematisieren.“
Einen Klassiker in neuem Gewand präsentieren auch die Vereinigte Bühnen Bozen mit Hauptmanns Vor Sonnenaufgang in der Überarbeitung von Ewald Palmetshofer (ab 19.10.). Eine bürgerliche Idylle entblößt ihr trügerisches Gesicht und der Zerfall einer Familie wird zur Chiffre für die Erosion der Gesellschaft. Verloren stehen sich die Familienmitglieder gegenüber. Egon Krause und seine Frau Annemarie haben sich aus dem Geschäftsleben zurückgezogen. Die Firma führt der Schwiegersohn Thomas, was allen ein gutes Einkommen sichert. Und auch in der Lokalpolitik ist er erfolgreich – mit rechtspopulistischen Parolen, über die man sich zwar wundert, aber was soll schon passieren?
Und bei all dem kann man durchaus „verwirrt“ sein, zumindest, wenn es nach Lukas Lobis geht. Mit dem Soloprogramm, Regie führt Robert Palfrader, feiert er sein Comeback auf der Kabarettbühne der Dekadenz Brixen (18.-20.10.). Können Globuli die Welt retten? Oder anders gefragt: Ist eine globulisierte Welt die Lösung? Nach anfänglichen Startschwierigkeiten begibt sich Lobis auf eine gefährliche Reise in die Wirren des postfaktischen Zeitalters. Und stolpert dabei über seine eigenen Unzulänglichkeiten. Frühdemenz? Man weiß es nicht. Aber Wissen ist eh Zweifel und nur wer alles glaubt, kann sich seiner Sache sicher sein. Und weil die Verwirrung grassiert, gastiert Lobis am 28. und 29. Oktober auch …
…in der Bozner Carambolage. Doch zuvor wärmen andere die Bühne ein. Zum Beispiel Dirk Stermann mit „Zusammenbraut“ (04.-05.10.). Für die Hochzeit seiner Tochter schmeißt der Komiker eine Party, aber etwas stört und so wird die ausgelassene Feier zu einer Abrechnung mit seinen Vaterqualitäten. „Ein verdammt starkes Stück“, das schreibt die Süddeutsche Zeitung. Weiter geht es mit Besuch aus Österreich: Christof Spörk macht nämlich den “Eiertanz“ (25.-26.10.). Woran liegt es, dass wir ständig herumeiern? Wir optimieren, spezifizieren, evaluieren, sublimieren und alles frei nach dem Motto „busy going nowhere“. Mit Tiefsinn, Witz und Verve bittet der Philosoph unter den Kabarettisten zum Eiertanz rund um die Glücksfälle und Stolpersteine des Lebens. Und wer immer noch nicht satt ist, auf den wartet am 31. Oktober das berüchtigte Improtheater zum Thema Halloween!
Apropos Südtiroler Städtetheater: Carambolage, Dekadenz, Stadttheater Bruneck und Theater in der Altstadt präsentieren die Kooperation Der Traam, die im Oktober in Bozen, Meran und Bruneck zu sehen ist. Ein Musical der Gebrüder Gamper nach einer Vorlage von Selma Mahlknecht – das klingt nach hartem Tobak. Und darum geht’s: Milena wünscht sich vergebens eine Wohnung in der Stadt. Maklerin Lukrezia soll helfen, doch Milenas Partner Alex will einfach nur sein Heimathaus am Steilhang ausbauen und dort eine ruhige Kugel schieben, irgendwann auch mit Kind. Doch sein Onkel Dave, ein Alt-Hippie, ist über Alex‘ Spießertum unglücklich. Er stellt sich ihm in den Weg und als der Steilhang sein erstes Opfer fordert, nehmen die Dinge ihren Lauf. Ein humorvolles Stück über die großen Themen unserer Zeit: Wohnen, Zusammenleben und den lieben Kapitalismus, der allzu oft zum Architekten unserer Wohn(t)räume wird. Musikalisch und visuell geht die Reise in die Achtziger, in denen weder modisch noch sonst wie alles besser war.
[Adina Guarnieri]