Von Philosophen und Rachegelüsten
Das deutsche Theater im November gibt Gas
Wer kennt es nicht: die Tage werden kürzer und langsam kriegt man Lust auf Tee und Lebkuchen. Und was wäre da besser als ein heimeliges Kleinkunsttheater, wo man bei dampfenden Getränken bestens aufgehoben ist?
Gemütlichkeit ist im Carambolage Bozen aber nicht mit Langeweile zu verwechseln, denn im November wird hier einiges geboten. Nach der Pause im letzten Jahr steht heuer wieder der Europäische Kleinkunstwettbewerb Niederstätter surPrize an (10.-12.11.), der bei seiner mittlerweile 19. Ausgabe angelangt ist und dessen Eintrittskarten bekannter Weise weggehen wie warme Semmel. Damit es in der Garderobe nicht zu kuschelig wird, gehen diesmal nur drei Anwärter*innen bzw. Gruppierungen ins Rennen, die allerdings an allen Abenden auftreten und so von allen gesehen werden können. Im Anschluss bespielt ein weiterer Preisträger die Bühne: Nektarios Vlachopoulos, Gewinner des Deutschen Kabarettpreises 2018. „Ein ganz klares Jein“ (19.-20.11.) lautet der Titel seines Programms, doch lassen Sie sich davon nicht in die Irre führen: dieser Mann macht klare Ansagen! Blitzschnell und knallhart analysiert er die Probleme der Mittelschicht und verteilt Empfehlungen für unentschlossene Dogmatiker. Von praktischen Tipps kommen wir zum Philosophen unter den Kabarettisten: Gunkl. Mit „So und anders - eine abendfüllende Abschweifung“ (26.-27.11.) nimmt er das Publikum mit in seine Gedankenwelt, in der alles erlaubt ist, was er nicht verboten hat. Keine brachiale Komik, sondern eine Erfahrung, die unterhaltsam den Gerechtigkeitssinn des Universums hinterfragt.
Vom Kleinkunsttheater in den Kulturkeller der Dekadenz Brixen, wo am 17. November die Kompanie Teatro Zappa aus Meran mit Ding, Dong … Passport – Die Schwalbe und das Mädchen zu Gast ist. Das Kindertheater kommt mit wenig Text aber umso mehr kreativen Pantomime-Einlagen aus. Alles beginnt im Kinderzimmer eines Mädchens, das davon träumt, als Pilotin die Welt zu umrunden. Als sich eine Schwalbe zu ihr verirrt, scheint ihr Traum wahr zu werden. Gemeinsam reisen sie einem Vogelschwarm hinterher und wachsen dabei auf ungeahnte Weise über sich hinaus, indem Themen wie Freundschaft, starke Mädchen, Migration und Kinderrechte zum Tragen kommen.
Zwischen Musik und Theater rangiert die Performance „Fanis“ von Florian Kmet & Ursula Scheidle (20.11.). Wie entsteht die Welt, wie entstehen Gesellschaften? Elementare Fragen liegen der Sage „Die Frauen aus Fanis“ zugrunde, die Anita Pichler gemeinsam mit Ulrike Kindl erkundet hat. Aus den Bruchstücken der jahrhundertealten Überlieferungen sind dreizehn Porträts von fürstlichen, teils rätselhaften Frauengestalten hervorgekommen. Komponist Florian Kmet und Schauspielerin Ursula Scheidle verbinden Sprache mit Klang: Fanis wird zu einem individuellen Ort der Sehnsucht und Erfüllung, Verlust und Tod, Macht und Ohnmacht.
Anderen Fragen geht das Kabarett-Quiz What The Franz? von Franz-Xaver Franz & Martin Fritz nach (26.11.). In einer lustigen Quiz-Scharade piesacken der strenge Franz-Xaver Franz und sein Assistent Martin das Publikum mit skurril-absurden Themen. Von Pop bis Politik, Kleopatra bis Kate Middleton – alles, aber auch wirklich alles wollen sie wissen. Und weil es in Brixen so schön ist, schlägt Franz-Xaver Franz hier seine Zelte auf und präsentiert schon am 27. November sein brandneues Programm Das Orakel von Selfie, in dem er antike Mythen von Homer bis Ovid in die Gegenwart holt: #metoosa oder Ödipus bei den Fridays for Future lassen grüßen.
Ein volles Programm hat auch das Südtiroler Kulturinstitut. Den Anfang macht Peter Turrinis Gemeinsam ist Alzheimer schöner, ein Gastspiel des Theaters in der Josefstadt Wien (3.11. Waltherhaus Bozen, 4.11. Stadttheater Meran). Regisseur Alexander Kubelka porträtiert ein Paar, das sein gesamtes Leben gemeinsam verbracht hat und nun in einer Seniorenresidenz – Abteilung Demenzkranke – über die Vergangenheit nachdenkt. Was bleibt, wenn sich die Protagonisten einander Dinge vorwerfen, die gar nicht passiert sind, nur, weil sie sich nicht mehr erkennen? Finden zwei Entliebte durch das Vergessen neu zusammen?
Am 17. und 18. November ist im Bozner Waltherhaus dann Jakob Noltes Version des Don Quijote zu sehen, während Ende des Monats Heinrich von Kleists Michael Kohlhaas in der Adaption von Regisseur Sebastian Kautz ansteht (23.11. Kulturhaus Schlanders, 24.11. Forum Brixen, 25.11. Stadttheater Meran). Mit dieser Novelle schuf Kleist das wohl bekannteste literarische Beispiel für die Macht der Rache. Kohlhaas wird Opfer herrschaftlicher Willkür und setzt sich zur Wehr. Doch er scheitert an korrupter Justiz und Vetternwirtschaft, weshalb er einen blutigen Rachefeldzug unternimmt, in dem er sich bald selbst verliert, zwischen realen Gegnern und eingebildeten Feinden.
Was er da oben wirklich gesucht hat, das werden wir wohl nie erfahren. Wer? Ötzi natürlich! Zum 30-jährigen Jubiläum seiner Entdeckung zeigen die Vereinigte Bühnen Bozen an gleich mehreren Spielstätten des Landes das Kinderstück Ötzi und das Eis oben der preisgekrönten Dramatikerin Anah Filou (ab 20.11., Regie: Joachim Gottfried Goller). Eine Schauspielerin begibt sich auf Spurensuche: Wer war Ötzi? Und wie sprach er? Sie muss es wissen, schließlich soll sie ihn in einem Stück darstellen. Doch halt! Die Hauptrolle spielt eigentlich die Katze, und der kommt die Forscherei mitsamt Detektiv wahrlich spanisch vor. Was hat der Klimawandel mit der Mumie und dem Kupferbeil zu tun? Ein sprachlich liebevoll ausgefeiltes Stück für Jung und Alt, miau!
[Adina Guarnieri]