Deutschland – Argentinien – Südtirol
Claus Tully über seinen Roman und den Weg dorthin
Nürnberg 1938: Liesl will zu ihrem Verlobten nach Argentinien auswandern, doch er lässt sie für eine andere sitzen. Trotzdem besteigt sie den Dampfer und verabschiedet sich von der Heimat.
Währenddessen fährt Betty von Buenos Aires mit dem Schiff nach Deutschland, wo kurz nach ihrer Ankunft der Krieg ausbricht, sodass die Zwölfjährige in Europa festsitzt. Autor Claus Tully hat die Lebensgeschichten dieser Frauen erforscht. Es entstand der Roman „Auf dem Weg in die neue Heimat – Liesls Eldorado“.
Herr Tully, Liesl kommt schon im Untertitel vor. Wer war sie?
Liesl war meine Tante, die trotz der Trennung von ihrem Verlobten im Mai 1938 von Deutschland nach Buenos Aires gegangen ist. Das Etikett auf dem Buchcover ist das Original von ihrem Gepäck. Sie war eine herausragende Frau und hat mich deshalb beeindruckt, weil sie ihr Ziel – die Auswanderung – hartnäckig verfolgt hat. Zusätzlich hat sie dem Sohn ihres einstigen Verlobten sogar ein Geschenk mitgebracht, das hat er mir in einem Interview erzählt.
Ihre Figuren basieren auf realen Personen?
Die drei weiblichen Protagonistinnen haben wirklich existiert. Die Handlung geht auf Interviews zurück, die ich geführt habe, als ich in Buenos Aires verschiedene Gastprofessuren hatte. Über Freunde und Nachbarn kam ich zu den Interviewpartnern. Dabei habe ich zum ersten Mal die Geschichte von Betty gehört. Sie war die Tochter deutscher Auswanderer und wollte nur in Deutschland Urlaub machen. Doch der Krieg kam ihr dazwischen und so hat sie ihre Jugendjahre im Zweiten Weltkrieg in Europa verbracht.
Und wer war die dritte Frau?
Auf die Biographie von Maria bin ich auch dank eines Interviews gestoßen. Sie ist mit ihren Eltern und hundert weiteren deutschen Staatsbürgern – darunter Liesls zukünftiger Ehemann – aus Bayern nach Argentinien gekommen. Mit 90 Jahren hat sie erzählt, dass sie eigentlich nicht auswandern wollte. Ihre Mutter starb während der Reise und Maria musste sich in Buenos Aires durchschlagen und die Schulden der Familie abbezahlen. Schließlich kam sie im Haushalt einer renommierten Autorin unter.
Wieso war Argentinien für Europäer so attraktiv?
Argentinien war das Paris Südamerikas und galt als das Land der Reichen. Buenos Aires war dafür bekannt, dass es seine Einwanderer offen empfing. Sie wurden nach der Ankunft in einem großen Gebäudekomplex, dem „Hotel de los Migrantes“, untergebracht und erhielten auch Unterstützung für ihre Weiterreise. Die Politik wollte das Land durch zusätzliche Bevölkerung zum Blühen bringen. Insofern waren die Einwanderer willkommen und das hatte sich herumgesprochen.
Hat sich bei Ihren Recherchen etwas ergeben, womit Sie überhaupt nicht gerechnet hätten?
Ich habe mich mit der Geschichte der Emigration nach Argentinien befasst und ein Großteil der Auswanderer kam aus Italien, darunter waren auch Südtiroler. Ich habe mich deshalb mit der Geschichte Südtirols, dem Faschismus und der Italienisierung befasst, da auch Südtiroler im Buch zu Wort kommen und ich diese Themen ebenso im Roman verarbeiten wollte. Während meiner Recherchen fand ich zufällig heraus, dass die Vorfahren meiner eigenen Familie aus Südtirol stammen, das war mir bis dato überhaupt nicht klar gewesen. Ein fränkischer Stadtschreiber hat Kirchenbücher studiert und festgestellt: 1692 kamen zwei Brüder aus der Gegend von Meran nach Bamberg. Der Name Tully geht wohl auf Thuile oder einen ähnlich klingenden Südtiroler Namen zurück.
Eine kuriose Geschichte!
[Adina Guarnieri]
ZUR PERSON: Claus Tully ist Soziologe und unterrichtet an der Freien Universität Bozen im Bereich „Medien und Gesellschaft“. Sein Debutroman „Auf dem Weg in die neue Heimat“ ist 2021 im Iatros Verlag erschienen.