Bewusst hinschauen
Das war „Belle“ im Theater im Hof in Bozen
Frau Belle ist eine Schauspielerin, die auf der Straße ihre zweite Familie gefunden hat. Sie singt, tanzt und es scheint, als wäre die Hausecke nicht der schlechteste Platz auf Erden.
Bis die Straße ihr wahres Gesicht zeigt. Doch Belle verliert nie den Mut und erzählt von ihrem Alltag, von Weggefährtinnen und Weggefährten, die ihr einen Kaffee spendieren oder die Zeitung mit ihr teilen. Teilen tun sie aber auch dasselbe Leid wie das Fehlen öffentlicher Toiletten oder die „zusätzlichen“ Armlehnen auf Parkbänken, die verhindern, dass sich Obdachlose dort hinlegen. Das Ganze hat sogar einen Namen: defensive Architektur.
Theater tut Gutes
Das Theater im Hof feiert 2024 sein 25-jähriges Bestehen. Bei der Premiere Anfang März wurde das mit alten und neuen Bekannten gefeiert, und zwar mit einem guten Hintergedanken: „Das Theater im Hof hat ein Dach über dem Kopf, daher wollen wir unser 25-jähriges Jubiläum jenen Menschen widmen, die kein Zuhause haben“, sagt Produzentin Beate Sauer. Aus diesem Grund unterstützt das Theater das Nachtquartier “dormizil“, das der Verein “housing first bozen-EO“ ehrenamtlich führt. Bei den Vorführungen waren Freiwillige des Nachtquartiers anwesend, um über ihre Tätigkeiten und die Obdachlosigkeit zu informieren. „Kultur schafft Nachdenken und Solidarität, eröffnet Perspektiven und öffnet die Augen. In diesem Sinn gehören Kultur und Soziales zusammen“, so Paul Tschigg vom Verein „housing first bozen-EO“.
Zur Entstehung des Stücks
Autorin Angelika Fremd-Wiese stammt aus dem deutschen Brandenburg, ist aber 1956 nach Australien ausgewandert. Dort hat sie acht Jahre lang in Kings Cross verbracht, einem pulsierenden Stadtviertel am Rande von Sydney, in dem wohlhabende Menschen neben verarmten Personen leben. “Belle“ basiert auf Angelika Fremds Beobachtungen der sogenannten streeties, also jener Menschen, die ihre Tage in Parks und Gassen verbringen. Die Autorin schildert die außergewöhnliche Gemeinschaft, die auf der Straße entsteht. Obdachlose Menschen gebe es auf der ganzen Welt, sagt Regisseurin Tanya Denny. Die Australierin ist auch Sozialarbeiterin und betreut obdachlose Frauen, die Gewalt und Diskriminierung erfahren: „Frauen auf der Straße gehören zu den schutzlosesten der gesamten Menschheit. Umso wichtiger ist es, das zu thematisieren“.
Zur Handlung
„Belle“ ist eine Würdigung an jene Menschen, die trotz schwerer Schicksalsschläge ihr Ansehen behalten haben. Schauspielerin Gertraud Ingeborg hat sich für die Rolle intensiv mit dem Thema der Obdachlosigkeit auseinandergesetzt. Dabei wollte sie vor allem wissen, wie es den Frauen auf der Straße ergeht, wie sie auf den eigenen Körper achtgeben und wie die Versorgung mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln funktioniert. Sie verlieh Belle, trotz ihrer Situation, Würde. „Es geht darum, dass das Publikum hinschauen muss, denn im wahren Leben gehen wir Obdachlosen oft aus dem Weg. Im Theater geht das natürlich nicht“, sagt Beate Sauer. „Die Hauptdarstellerin erzählt auch von anderen Obdachlosen, die nicht auf der Bühne erscheinen und wir merken dabei, dass es keine schwachen Menschen sind, sondern dass sie eine ungemeine Widerstandskraft entwickeln, um ihre Tage zu meistern. Es geht um ihre Energie, um ihren Humor, um das Gemeinschaftsgefühl“.
[Adina Guarnieri]