“Der lange Atem kolonialer Bilder“
Buchpräsentation mit Historiker Markus Wurzer
Der Kolonialismus ist Teil vieler europäischer Familiengeschichten. Tagebücher, Militaria oder Beutestücke aus jener Zeit zeugen nicht nur von familiären Verstrickungen, sondern haben obendrein über Jahrzehnte hinweg kollektive Vorstellungen über die koloniale Vergangenheit geprägt. Markus Wurzer widmet sich in seinem Buch den kolonialen Bildbeständen Südtiroler Familien, deren (Groß-)Vätergeneration am faschistischen Kolonialkrieg gegen das Kaiserreich Abessinien teilgenommen hat.
Lieber Herr Wurzer, das Buch scheint mir das Ergebnis einer aufwändigen Spurensuche zu sein. Trifft das zu?
Ja, das trifft zu: Ich habe sieben Jahre am Buch gearbeitet. Besonders aufwändig – aber auch der spannendste Teil meiner Arbeit – war die Suche nach den Familien in Südtirol, die bis heute Bildmaterial aus dem Kolonialkrieg in Äthiopien aufbewahren.
Warum hat gerade dieses Thema Ihre Aufmerksamkeit geweckt?
Der Zufall hat hier eine große Rolle gespielt. Ich habe meine Diplomarbeit über das Tagebuch eines Südtirolers aus diesem Krieg geschrieben. Bei Vorträgen über dieses in Südtirol kamen Personen zu mir und haben mir die Fotos von ihren Vätern gezeigt. Die Bilder haben mich sogleich fasziniert und ich wollte mehr über sie, die Menschen die sie machten und die, die sie zeigen, erfahren.
Wurde viel fotografiert?
Der Kolonialkrieg in Äthiopien war ein visuelles Spektakel. Das faschistische Regime investierte viel, um ein gewünschtes Bild des Krieges herzustellen – der Krieg als vermeintlich harmlose “Zivilisierungsmission“. Daneben gab es aber eine unüberblickbare Anzahl an “einfachen“ Soldaten, die mit eigenen Apparaten Aufnahmen machten. In ihrer Praxis ahmten sie zum Teil die propagandistische Bildsprache nach und inszenierten Äthiopien als “leeres“, kolonisierbares Land. Manche fotografierten aber auch die ungeheuerliche Gewalt und hielten damit etwas fest, was der Propagandaapparat tunlichst zu tarnen versuchte.
Wie viele deutschsprachige Südtiroler waren in Afrika?
Aus der Studie von Thomas Ohnewein Anfang der 2000er-Jahre wissen wir, dass mindestens 1.118 deutschsprachige Südtiroler in Ostafrika im Kriegseinsatz gewesen sind. Die meisten entstammen den Jahrgängen 1911 bis 1913 und wurden verpflichtend einberufen. Daneben gab es aber durchaus auch Deutschsprachige, die sich – in Aussicht auf lukrative Verdienstmöglichkeiten oder aus Abenteuerlust – freiwillig zum Kriegsdienst verpflichteten.
Wie haben die Nachfahren auf Ihre Fragen und Recherchen reagiert?
Die Familien begegneten mir mit großem Interesse und Neugier. Oft erhofften sie sich von mir, Neues über die Vergangenheiten ihrer Elterngeneration zu erfahren. Familien gehen mit diesem kolonialen Erbe ganz unterschiedlich um: Während die Veteranen manchmal von ihren Erlebnissen ihren Kindern erzählten, schwiegen andere völlig. Wenn die Väter erzählten, gilt aber: Erzählungen über die Exotik Ostafrikas dominierten, während sie über die Gewaltverbrechen weitgehend schwiegen.
Was sollte man Ihrer Meinung nach mit solchen Erinnerungsstücken machen?
Nicht entsorgen, sondern die kritische Auseinandersetzung mit dem Abgebildeten suchen. Mein Buch ist ein Stück weit auch der Versuch, Familien im Umgang mit kolonialen Bildern eine Orientierungshilfe zu bieten.
[Adina Guarnieri]