„Früher habe ich viel experimentiert“
Der Komponist Hubert Stuppner und die zeitgenössische Musik in Südtirol
Hubert Stuppner hat vor Kurzem seinen 80. Geburtstag gefeiert. In einem Alter, das andere für Müßiggang oder Freizeitaktivitäten nutzen, ist der Komponist aus Bozen nach wie vor voller Schaffensdrang: „Ich mag es nicht, Zeit zu verlieren.“
Hubert Stuppner ist im kleinen Bergdorf Truden aufgewachsen, das er früh verließ, um die Internatsschule Johanneum in Dorf Tirol zu besuchen. Nach der Matura folgte ein Klavierstudium am Konservatorium Bozen, dessen Direktor er später werden sollte, sowie das Studium der Musikwissenschaften in Padua. Den durchgetakteten Heimalltag sollte Hubert Stuppner für sein Leben übernehmen. Müßiggang ist seine Sache nicht. Den 80. Geburtstag versucht er zu ignorieren: „Nun ja, der Körper hat hin und wieder so seine Wehwehchen, aber ich bin froh, dass der Geist noch einwandfrei funktioniert.“ Täglich setzt sich Stuppner ans Klavier, übt und schreibt an seinen Kompositionen.
Herr Stuppner, warum ist die Beschäftigung mit Wissenschaft und Literatur so wichtig?
Aus meinem Bildungshintergrund muss ich sagen, dass wir in der Schule in jedem Fach eine Koryphäe hatten. Bei langen Spaziergängen in Meran wurden uns die Pflanzenwelt nähergebracht, wir haben griechische Dramen besprochen und uns mit Mathematik und Physik beschäftigt. Das habe ich sehr genossen. Heute haben Schülerinnen und Schüler vielfach keinen Bezug mehr zu diesen Themen, es wird kaum gelesen, der Intellekt leidet.
Wie sind Sie zur Musik gekommen?
Die Internatsschule Johanneum war ja vor allem für die Vorbereitung auf den Priesterberuf gedacht. Doch das interessierte mich, wie viele andere, im Grunde überhaupt nicht. Während der Schuljahre bin ich eher zufällig zum Klavier gekommen und war in Dorf Tirol nach kurzer Zeit als Organist tätig. Nach der Matura habe ich das Konservatorium absolviert, während ich gleichzeitig in Padua studiert habe. Meine Präferenz wäre Jus gewesen, aber das wäre mit dem Klavierstudium nicht vereinbar gewesen. Nach dem Abschluss war ich als Professor am Konservatorium tätig und später als Direktor, das hat sich immer eher zufällig ergeben. Die Tätigkeit am Konservatorium war anders als heute organisiert und hat mir erlaubt, auch als Komponist zu arbeiten, denn Komponieren erfordert viel Zeit.
Was ist das Besondere an der zeitgenössischen Komposition?
Mich hat vor allem das Avantgardistische gereizt, das konträr zur herkömmlichen Kompositionstradition steht. Man musste etwas erfinden, das noch nicht da und somit unerhört war. Ich habe mich viel in Darmstadt aufgehalten, wo sich lange Jahre die Avantgarde der zeitgenössischen Musik nicht nur Deutschlands, sondern auch Europas befand. Nach dem Krieg war man begierig auf alles, was dem Traditionellen widerstand. Meinen Kompositionen war auch rasch Erfolg beschieden. Mittlerweile bin ich aber vom etwas zu Revolutionären abgerückt. Es nützt nichts, Eintagsfliegen zu schreiben, deren Uraufführungen eklatmäßig Staub aufwirbeln, und dann werden sie nie wieder gespielt. Ich schreibe heute Stücke, die mehr Gehalt haben und wiederholbar sind. Früher habe ich viel experimentiert, heute schreibe ich Musik.
Wie beurteilen Sie den Stand der zeitgenössischen Musik in Europa und speziell in Südtirol?
Deutschland und auch Österreich sind nach wie vor begierig nach dem musikalisch Unerhörten. Es gibt eine starke Nachfrage nach experimenteller Musik, auch wenn sich inzwischen Komponisten behaupten, die etwas mehr Konsistenz haben. Südtirol hat sich mit der zeitgenössischen Musik immer etwas schwergetan. In den letzten Jahrzehnten allerdings ist eine gewisse Entwicklung zu verzeichnen. Es gibt junge Komponistinnen und Komponisten, die durchaus hochinteressante Werke schreiben. Wir sind bemüht, sie beim Festival Zeitgenössischer Musik zu spielen, welches heuer seinen 50. Geburtstag feiert. Der Südtiroler Künstlerbund hat aktuell 30 Mitglieder, die konsonant oder atonal, eklektisch oder radikal, strukturalistisch oder improvisatorisch komponieren. Vor fünfzig Jahren war ich einer von wenigen.
[Sibylle Finatzer]
ZUR PERSON
Hubert Stuppner, geboren 1944. Komponist, Autor. 1970 bis 1981 Professor am Konservatorium „Claudio Monteverdi“ Bozen, 1981 bis 1996 Direktor. 1982 bis 1996 Juryvorsitz des Internationalen Klavierwettbewerbs Ferruccio Busoni, Gründer und Leiter des Festivals Zeitgenössischer Musik. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen, Publikationen, über 100 Kompositionen.