Ideen, statt Antworten
Ein Sommergespräch mit der Künstlerin Nadia Tamanini
Zum zweiten Mal wurde heuer der Piero-Siena-Preis vergeben. Dieser zeichnet Kunstschaffende aus, die in Südtirol tätig sind und vom Landesamt für italienische Kultur unterstützt werden. Träger sind zwei Museen: das „Museion“ in Bozen und das „Madre“ in Neapel. Unter den Prämierten befindet sich Nadia Tamanini, eine gebürtige Trienterin, die seit vielen Jahren in Bozen lebt.
Der Preis ist eine wichtige Ehrung. Wie hast du dich gefühlt, als du es erfahren hast?
Es kam unerwartet, weil man sich nicht darum bewerben kann, sondern ausgewählt wird. Als mich deshalb die Kuratorin Paola Tognon angerufen hat, war ich sehr überrascht. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet. Es ist eine aufregende Erfahrung, denn plötzlich laufen die Fäden zusammen, alles kommt bei dir an und du fragst dich: Was bedeutet das jetzt für mich, für meine Entwicklung, für die Zukunft?
Was passiert jetzt?
Aktuell sind die Arbeiten der Preisträger, also von Santiago Torresagasti und mir, im Kulturzentrum Trevi ausgestellt. Das schöne dabei ist, dass ich die Werke für die Ausstellung gemeinsam mit dem Direktor des Museion, Bart Van Der Heide, und der Kuratorin Frida Carazzato ausgesucht habe, ohne dass jemand die Entscheidungen „von oben“ vorgegeben hätte. Es hat sich deshalb alles langsam und prozessartig entwickelt: Was ist mir wichtig, wie sehen es die anderen? Welche Verbindung gibt es zwischen Santiago und mir, wo liegen die Unterschiede? Die Ausstellung wird dann auch in Neapel im „Madre“ zu sehen sein. Das ist ein völlig anderer Kontext und wird sicherlich spannend.
Seit wann bist du künstlerisch tätig?
Die Kunst in all ihren Facetten und Genres begleitet mich schon mein ganzes Leben lang. Während meines Studiums der Kunst- und Performancetechniken in Venedig habe ich mich theoretisch mit diesen Themen befasst, aber es ging nie um das Gestalten mit den eigenen Händen. Viele Jahre habe ich dann mit Kindern gearbeitet und war gemeinsam mit ihnen kreativ. Aber es hat mir etwas gefehlt und ich hatte das Bedürfnis, mich auf mich selbst zu konzentrieren und etwas ausdrücken, das von mir kommt. Und vor drei Jahren habe ich mir gedacht: Jetzt bin ich bereit!
Bereit für was?
Das herauszufinden war die große Arbeit der letzten Jahre: Verstehen, was ich sagen will und wie. Das geschriebene Wort war für mich immer wichtig, aber ich möchte nicht im Zweidimensionalen bleiben, sondern auch installationsartig sowie performativ arbeiten und spontan sein. Ich nehme mir die Freiheit, Material und Technik je nach Situation auszusuchen. Und sollte das meine Kompetenzen übersteigen, dann hole ich mir Hilfe. Dieser Austausch gehört für mich dazu.
Gibt es wiederkehrende Motive, inhaltlich oder gestalterisch?
Ich möchte etwas schaffen, das von mir ausgeht, aber nicht nur mir gehört. Also nicht Nadia allein, sondern Nadia im Kollektiv umgeben von anderen Menschen. Deshalb lege ich viel Wert darauf, dass meine Arbeit nachvollziehbar ist. Nicht das fertige Werk im Rahmen zählt – auch meine Notizen gehören dazu. Die einzelnen Schritte sind Teil des Weges, den ich gehe.
Könntest du deine Kunst in wenigen Sätzen zusammenfassen?
Es geht mir um Formen der Kommunikation, um Codes wie das Morsealphabet, Stenografie oder Braille. Inhalte sind in Bewegung, entwickeln sich spontan. Ich mache oft Schnitte und nähe sie wieder zusammen, zeige Scheren und Risse. Das, weil ich Löcher öffnen will, um von außen auf die Welt zu schauen und eine aktivere Beziehung zu ihr einzugehen – sei es zu den Menschen als auch zur Natur. Die Diskussion soll offen bleiben und zu einem neuen Gleichgewicht führen. Wie? Antworten habe ich keine, aber ein paar Ideen.
Termin: Nadia Tamanini und Santiago Torresagasti, bis 20.09.2024, Kulturzentrum Trevi in Bozen.
[Adina Guarnieri]