Die Geschichte einer Radikalisierung
Ein Gespräch über radikale Ideologien und gesellschaftliche Verantwortung
Die Regisseurin Michaela Senn inszeniert ab 13. Januar das Monologstück „Ich, Akira“ in Brixen und offenbart darin, in welch innere Zerrissenheit man gerät, wenn sich nahestehende Menschen radikalisieren.
In „Ich, Akira“ geht es um Radikalisierung und zwischenmenschliche Kommunikation. Was ist für Sie reizvoll daran, gesellschaftskritische Themen auf der Bühne zu behandeln?
Das Theater bietet sich geradezu an, um Bezüge zum realen Leben herzustellen und das Publikum mit gesellschaftlichen Problemen zu konfrontieren. Beinahe jede*r hat während der Coronapandemie erlebt, wie vertraute Menschen plötzlich radikale Meinungen entwickelten – natürlich selten in einem solchen Ausmaß, wie es bei Attila Hildmann der Fall war. Doch so manche zwischenmenschliche Beziehung ist daran zerbrochen. Das Stück legt auch offen, wie fragil eine Gesellschaft in Krisenzeiten sein kann.
„Ich, Akira“ ist ein Monologstück, in dem der Protagonist die vierte Wand durchbricht und sich Rat suchend an das Publikum wendet. Ist die Radikalisierung von Einzelpersonen immer auch eine gesellschaftliche Angelegenheit?
Dass Akira direkt zum Publikum spricht, ist gerade bei dieser Thematik notwendig. Die Radikalisierung von Einzelpersonen geht uns als Gesellschaft alle an. Bliebe die vierte Wand geschlossen, wäre das Publikum nur eine beobachtende Instanz, so aber wird es in das Geschehen auf der Bühne involviert. So viel sei verraten, über den Ausgang des Stücks entscheidet jede*r Zuschauer*in individuell. Erst bei der Premiere wird sich zeigen, ob diese Herangehensweise angenommen wird.
Wie kann es gelingen, drängende gesellschaftliche Probleme komisch in Szene zu setzen?
Gerade in dramatischen Momenten flüchten Menschen sich oft in die Komik. Humor kann ein Ventil sein, um Krisenzeiten zu überstehen. Peter Schorn ist ein herausragender Schauspieler, der die Brücke zu schlagen versteht zwischen Dramatik und Komik. Dass ein Hund im Fokus steht, mag zwar auch komisch anmuten, doch Akira ist dem Menschen ähnlich und die Attribute des Tieres werden sehr subtil eingebaut, vornehmlich durch die Sprache des Textes und durch das devote Auftreten, das sich im Verlauf des Stücks jedoch zwangsläufig ändern wird.
Wie kann man mit der Radikalisierung von Menschen im privaten Umfeld umgehen?
Im Vorfeld habe ich mich intensiv mit der Thematik beschäftigt und unter anderem auch „Massenradikalisierung“ von Julia Ebner sowie „Warum wir Familie und Freunde an radikale Ideologien verlieren – und wie wir sie zurückholen können“ von Dana Buchzik gelesen. Vorrangig ist es, die jeweilige Person trotz gegensätzlicher Meinung ernst zu nehmen. Argumente anbringen und Zweifel streuen, kann funktionieren. In jedem Fall sollte einem aber bewusst sein, dass radikale Meinungen auf emotionaler Ebene gebildet werden und oft auch eine Angst ursächlich sein kann. Erzählt mir jemand von einer kruden Theorie und ich lache darüber, wird er oder sie diese Meinung vermutlich nicht revidieren. Akira tritt dem Publikum im Stück wertschätzend gegenüber und so sollten auch wir im gesellschaftlichen Diskurs wertschätzend miteinander umgehen. Kaum jemand agiert absichtlich böse, sondern meist nach bestem Wissen und Gewissen. Es ist schade, dass selbst im öffentlichen Bereich sehr selten Meinungen korrigiert werden, die sich als unwahr entpuppt haben. Stattdessen wird stur und aus falschem Stolz darauf beharrt. Doch die Wirklichkeit ist komplex und einfache Antworten können kaum gegeben werden – auch wenn gerade in Krisenzeiten danach verlangt wird.
Haben Sie die Radikalisierung von Attila Hildmann medial verfolgt?
Seine veganen Kochbücher inspirierten mich dazu, selbst einige Wochen lang vegan zu leben. Als er dann schließlich als Verschwörungstheoretiker in Erscheinung trat und sich antisemitisch und rechtsextrem äußerte, war ich umso entsetzter. Die Figur des Attila Hildmann wirkte auf mich plötzlich bizarr, beinahe schon überzeichnet. In jedem Fall fand ich die Idee, „Ich, Akira“ in Südtirol zu inszenieren gut, denn auch hier sind uns extreme Meinungen nicht fremd.
[Angelika Aichner]
MICHAELA SENN
geboren 1985 in Sterzing, absolvierte eine Schauspielausbildung in Innsbruck und studierte dort anschließend Vergleichende Literaturwissenschaft.
Ihr obliegt die künstlerische Leitung von Triebwerk7 und Theater praesent. Sie arbeitet als Regisseurin und Schauspielerin und lebt in Stams.
„ICH, AKIRA“
Der komische Theatermonolog von Leonhard Meier und Noëlle Haeseling rückt das Huskymännchen Akira in den Fokus, das mit der zunehmenden Radikalisierung seines Herrchens Attila Hildmann hadert.
Der einstige Kochbuchautor war während der Coronapandemie durch die Verbreitung von Verschwörungsideologien und antisemitischen sowie rechtsextremen Äußerungen medial präsent. Vor dem im Februar 2021 erlassenen Haftbefehl floh er in die Türkei. Das Monologstück „Ich, Akira“ thematisiert den moralischen Zwiespalt, in dem sich Akira befindet, und stellt die Frage, was passiert, wenn sich nahestehende Menschen radikalisieren.
Zu sehen ist das Stück „Ich, Akira“ ab 13. Jänner an der Dekadenz Brixen.
www.dekadenz.it