„Ein Hund kam in die Küche“
Der erfolgreiche Roman des Südtiroler Autors Sepp Mall
„Wörter, die etwas mit Lebewohl oder Wiedersehen zu tun hatten, gab es bei uns seit ein paar Monaten nicht mehr.“ So empfindet Ludi den Schwebezustand des Wartens auf die lange Reise „heim ins Reich“, wie es die Propaganda der Nationalsozialisten zu formulieren pflegte…
Wir sind im Jahre 1942 und Ludis Vater hat optiert. Der Junge ist damals 11 und ahnt nicht, was nach der Auswanderung mit seiner Familie passieren wird. Schon gar nicht mit seinem kleinen Bruder Hanno, den sie im Dorf „zurückgeblieben“ nennen. Zumindest sagen das die Erwachsenen. Und diese Welt der Erwachsenen, ihr Reden über das Bleiben oder Gehen, das Spekulieren über die politische Lage und den Krieg – all das versuchen sich die Kinder verständlich zu machen, indem sie sich ihre eigenen Gewissheiten zusammenreimen. „Wenn ich den Roman aus der Sicht der Erwachsenen geschrieben hätte, dann hätte ich wohl die ganzen Ideologismen hineinbringen müssen und Begriffe wie ‚Option‘ oder ‚Dableiber‘“, meint Sepp Mall dazu. „Ich wollte aber hinter diese Begriffe kommen, sie sozusagen neu beleuchten – über die Naivität und Unschuld der Kindersicht. Und da kann es durchaus auch zu skurrilen Situationen kommen, zu einem Humor der Verzweiflung, der die Erwachsenensicht demaskiert. Eine andere Seite von diesem Geschehen zeigt. Die Dramatik kennen wir und die muss ich nicht nochmal im Buch duplizieren.“
Paradoxe Situation
Sepp Mall spart mit historischen Details. Seine Figuren tappen im Nebel, aber wir wissen beim Lesen genau, was ihnen bevorsteht. Der Verlust der Heimat, die Ankunft in der Fremde und das Unglück, dass viele Eltern ihre geistig und körperlich beeinträchtigten Kinder nie mehr wiedersehen sollten, nachdem sie sie voller Zuversicht den NS-„Heilanstalten“ anvertraut hatten. Hanno werde im Heim richtig Gehen und Sprechen lernen, davon ist Ludi überzeugt. Und dann könnten sie gemeinsam, Ludi und Hanno, Skifahren lernen. Der Moment, als Ludi und die Mutter Hanno im Heim abgeben, ist ergreifend. Die Familie hofft, wir wissen. „Mir ist, während ich schon am Roman schrieb, ein Buch in die Hände gefallen, das bei Alphabeta in Meran erschienen ist. Es trägt den Titel ‚Agnes, Ida, Max und die Anderen‘ von Elisabeth Malleier und Marlene Messner. Darin geht es um zehn Südtiroler Kinder mit Behinderung, die in den Heimen von den Nazis umgebracht worden sind. Ich habe das zwar gewusst, aber durch das Buch war es plötzlich so nahe, weil es waren Namen da, Fotos. Es war zwar nicht einfach, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzten, aber es zu verschweigen und wegzuschieben wäre schlimmer gewesen“, sagt Sepp Mall. „Es war mir wichtig, mit diesem Buch einen Teil zu dieser Erinnerungskultur beizutragen.“
Ein unverhofftes Wiedersehen
„Ein Hund kam in die Küche“ ist ein Wechselbad der Gefühle, denn man schwankt von betroffen über nachdenklich bis hin zu amüsiert, wenn die Kinder zum Beispiel die Aussagen der Erwachsenen verdrehen. So soll die Reise nach „Vor-Adelberg“ gehen, oder doch „Hinter-Adelberg“? Dort würden sie jedenfalls wieder Nachbarn sein, genauso wie hier. Und das Ganze nennt man doch „Wandern“, nicht „Auswandern“! Nicht nur die Sprache lässt uns in die Welt der Kinder eintauchen, sondern auch die Tatsache, dass Ludi immer noch mit Hanno spricht, obwohl dieser längst gestorben ist. „Er kommt auch im zweiten Teil des Buches immer wieder vor, wird zum Begleiter für den älteren Bruder in dieser schwierigen Zeit, auch zum Spielgefährten.“ Passiert das nur in Ludis Fantasie? „Das ist jedem Leser, jeder Leserin selbst überlassen, wie er oder sie das sieht. Hanno ist ein Kind, ein behindertes Kind, das ermordet wird. Das hätte nicht sein dürfen. Und dass so etwas nicht sein darf, das wird im Buch Wirklichkeit, und zwar in dem Moment, in dem Hanno wiederkommt“.
[Adina Guarnieri]