Wie der Tango nach Turin kam
Ein Gespräch zum neuen Roman von Kurt Lanthaler
Turin 1931: Renato Cesarini schießt in der 90. Minute das entscheidende Tor für die italienische Nationalmannschaft im Spiel gegen Ungarn. Es ist die Geburtsstunde der “zona Cesarini“. Der Ausdruck bezeichnet jenen Moment, in dem nichts entschieden und noch alles offen ist.
Das neue Buch von Kurt Lanthaler “Vorabbericht in Sachen der Zona Cesarini“ widmet sich dem Leben des Fußballers, aber nicht nur.
Die Geschichte des Renato Cesarini liegt eine Weile zurück. Wie sind Sie darauf gestoßen?
Der Ausdruck ist mir beim Lesen tagespolitischer Artikel untergekommen. Ein Beispiel aus der Zeitung “Il Sole 24 Ore“ kommt auch im Buch vor: Bei den Wahlen in Sizilien 2001 hat Berlusconi an die tausend Verträge für den Religionsunterricht geschaffen, und zwar in “zona Cesarini“, also einen Tag vor den Wahlen. Interessant finde ich dabei den sprachlichen Transfer zwischen Italienisch und Deutsch, aber auch die Veränderungen, die Worte und Redewendungen im Laufe der Jahre mitmachen.
Was fasziniert Sie an der “zona Cesarini“?
Im Kontext meines Schreibens habe ich mich mehr mit Seeleuten oder LKW-Fahrern befasst, weniger mit Fußballern. Aber dieses Tor im letzten Moment hat eine ganz andere Wertigkeit als jedes andere Tor. Damals gab es noch keine Leuchttafeln und die Schiedsrichter haben nur auf ihre Armbanduhr geschaut. Wie versteht man da, wann der Schiedsrichter über die Nachspielzeit entscheidet? Man ahnt es mehr, als dass man es weiß – man ahnt es vielleicht sogar eher als der Schiedsrichter selbst. Und in meiner Vorstellung ist das ein locus amoenus, ein ganz besonderer Moment.
Fußball ist aber nur ein Thema unter vielen…
Cesarini ist um 1900 mit seinen Eltern von Italien nach Argentinien ausgewandert. Er wächst im italienischen Viertel von Buenos Aires auf und schlägt sich auf der Straße durch. Sein Schicksal ist jenes der sogenannten oriundi, der Migranten, mit diesem typisch italienischen andirivieni, das in meinen Romanen immer wieder eine Rolle spielt. Aber es geht auch um die Rolle des Sports im Faschismus, um die Kunsthistorikerin Margherita Sarfatti, um politische Migration, Hafenstädte und das Zirkusleben.
Apropos Zirkus: Was hat der Affe auf dem Cover zu bedeuten?
Der junge Cesarini war beim Zirkus, entgegen dem Willen seiner Eltern. Mit 18 kam er dann in die argentinische Nationalmannschaft und später wurde er von der Juventus angekauft. Auf dem Schiff nach Genua traf er einen Trapezkünstler und kaufte ihm seinen Affen ab. Das hat bei den Damen der gehobenen Gesellschaft für Aufsehen gesorgt – der Affe, aber auch das Tangolokal, das Cesarini in Turin eröffnet hat.
Wie viel Wahres steckt im Roman?
Den Affen hat es wirklich gegeben und auch die Tangueria. Aber ich wollte kein Sachbuch schreiben. Ich recherchiere in Archiven und parallel dazu erfinde ich gern “historische“ Quellen. Hier wird ein Schuhkarton voller Tonbänder gefunden, auf denen der späte Cesarini seine Geschichten aufgenommen hat, als er stundenlang mit einem Tonbandgerät in der Boca von Buenos Aires umhergewandert ist. Auf Außenstehende wirkte das so, als würde ein alter Mensch in den Gassen mit sich selbst reden. Natürlich fragen wir uns: Gibt es diese Tonbänder wirklich? Erzählt er die Wahrheit? Wir wissen es nicht. Aber Auszüge davon kommen im Buch vor.
[Adina Guarnieri]