Frauenschicksale erzählen Geschichte
Interview mit Helene Mathà über ihren Roman „Mutternacht“
Das Schicksal einer Frau wird oft nur leise erzählt: in Blicken, in kleinen Gesten, zwischen den Zeilen der Geschichte. Doch gerade in diesen stillen Momenten offenbaren sich tiefe Wahrheiten über Stärke, Anpassung und Widerstand.
Ein Gespräch mit Helene Mathà, Autorin ihres dritten regionalhistorischen Romans Mutternacht - Ein Südtiroler Frauenschicksal im 20. Jahrhundert (Verlag Effekt!)
Frau Mathà, Sie waren Krankenpflegerin und Pädagogin: Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?
Ich schreibe eigentlich schon seit meiner Jugend – Gedichte oder Kurzgeschichten, die jedoch immer in der Schublade gelandet sind. Später blieb kaum Zeit - mit Familie und Beruf - das Schreiben wirklich zu verfolgen. Erst seit einigen Jahren habe ich dafür Zeit gefunden, und Mutternacht ist mittlerweile mein dritter regionalhistorischer Roman.
Wie sehr prägen Ihre früheren Berufe Ihre literarische Arbeit?
Sehr stark. Ich habe viele Menschen mit bewegenden Lebensgeschichten kennengelernt. Besonders Frauenschicksale, von starken wie verletzlichen Frauen, haben mich tief berührt und stehen daher meist im Zentrum meiner Romane. Meine Figuren sind fiktiv, tragen aber Mosaikstücke realer Erfahrungen in sich – Bruchstücke vieler Lebensgeschichten, die ich über die Jahre gehört und begleitet habe.
Worum geht es in Mutternacht?
Der Roman spannt einen zeitlichen Bogen von 1938 bis 1981 und erzählt die Lebensgeschichte einer Frau in Südtirol. Anders als meine ersten beiden Bücher, die im Mittelalter und im 19. Jh spielen, wollte ich hier ein Frauenschicksal schildern, das von Armut, Krieg und gesellschaftlichem Wandel im 20. Jahrhundert geprägt ist. Eine Zeitreise durch bewegte Jahrzehnte.
Was hat Sie zur Figur der obdachlosen Frau inspiriert?
Ich bin in einer Zeit des Friedens und relativen Wohlstands aufgewachsen. Gerade deshalb hat es mich immer berührt, wie frühere Generationen unter ganz anderen Bedingungen lebten. Die Figur der Agatha – eine obdachlose Frau – ist bewusst als „Antiheldin“ angelegt. Ich wollte zeigen, wie politische und gesellschaftliche Traumata tiefe seelische Wunden hinterlassen können. Wunden, die ein normales Leben oft unmöglich machen.
Agatha wird im Buch auch als „Mamuschka“ bezeichnet. Was steckt dahinter?
Mamuschka steht für das Muttersein. Wie die russische Puppe mit ihren verschachtelten Hüllen ist auch Mutterschaft etwas, das in vielen Schichten lebt. Selbst wenn äußere Rollen zerfallen, bleibt im Innersten etwas erhalten. Auch wenn eine Frau dieser Rolle nicht (mehr) gerecht werden kann – in der Seele bleibt sie Mutter.
Das Buch berührt Themen wie Identität, Ausgrenzung und Vergessen. War das Ihre Absicht?
Unbedingt. Es war früher nicht anders als heute: In Zeiten der Krise trifft es die sozial Schwächsten zuerst. Mutternacht ist auch ein Versuch, auf diese oft unsichtbaren Schicksale aufmerksam zu machen. Agatha ist eine Frau, die, gebeutelt durch gesellschaftspolitische Ereignisse, erfolglos nach ihrer verlorenen Identität sucht und somit in Ausgrenzung gerät.
Was möchten Sie, dass Leser:innen aus dem Buch mitnehmen?
Im Roman gibt es zwei Mutterrollen: Emma und Agatha. Während Emma sich behauptet, scheitert Agatha. Ich hoffe, dass sie den Leser:innen trotzdem – oder gerade deshalb – ans Herz wächst. Die beiden Hauptfiguren im Roman stehen für einen Aufruf zur Wertschätzung aller Frauen, die versuchen ihrer Mutterrolle gerecht zu werden – ob sie es nun schaffen oder nicht.
Zum Schluss: Dürfen wir uns auf neue Projekte freuen?
In meinem Kopf sammeln sich bereits neue Ideen. An einem Projekt arbeite ich schon konkret, aber dazu möchte ich nur soviel sagen: „Man darf gespannt sein!”
[Fabian Daum]
ZUR AUTORIN
Helene Mathà war viele Jahre als diplomierte Krankenpflegerin tätig. Nach abgeschlossenem Studium an der Universität Innsbruck arbeitete sie als Lehrkraft für Humanwissenschaften und als Koordinatorin für Inklusion an einem Gymnasium in Meran. Seit einigen Jahren widmet sie sich dem Schreiben von regionalhistorischen Romanen. Im Mittelpunkt ihrer Geschichten stehen vor allem Schicksale von Frauen aus Südtirol.
Inhalt des Buches:
In einem Südtiroler Krankenhaus der 1980er-Jahre wird eine ältere, namenlose Bettlerin in lebensbedrohlichem Zustand aufgenommen. Die Krankenpflegerin Emma möchte mehr über diese Patientin erfahren: Wer ist die Frau, die alle in der Stadt nur Mamuschka nennen? Wieso weiß niemand etwas über ihre Herkunft? Welche Schicksalsschläge haben dazu geführt, dass sie auf der Straße gelandet ist?
Auf einer spannenden Zeitreise durch die bewegten Jahre des 20. Jahrhunderts lüftet sich nach und nach das Geheimnis rund um das Leben der obdachlosen Frau.