Das deutschsprachige Theater im Januar - Nachdenklicher Jahresanfang
„Es wird sich bald entscheiden müssen, welcher Typus Europäer die Zukunft bestimmt: der universale Europäer oder der eindimensionale Europäer. Das heißt aber auch: ob auf diesem Kontinent in Zukunft Menschenrecht oder wieder Faustrecht herrscht.“
Dieser Satz stammt vom österreichischen Schriftsteller Robert Menasse. Er ist ein Denker der alten Schule, spricht von Ethik und Verantwortung. Mit „Die Hauptstadt“ (ab 12.01) zeigen die Vereinigten Bühnen Bozen eine Theateradaption von Menasses gleichnamigem Roman. Die Fassung von Tom Kühnel und Ralf Fiedler – Regie führt Cilli Drexel – handelt von einem Mordfall und einem Mann im Altersheim, der als Kind nur knapp der Deportation entkommen ist, und von einer Kulturbeamtin, die in Brüssel das Image der Europäischen Kommission aufpolieren soll. In Menasses Europa finden diese augenscheinlich unzusammenhängenden Geschichten zueinander und ergeben das Bild eines oft scheinheiligen Kontinents.
Auch Christoph & Lollo haben sich in der Welt umgeschaut und dabei wenig Grund zur Freude gefunden. Ihr Antidot lautet: Humor. Mit ihrem musikalischen Bühnenprogramm „Mitten ins Hirn“ (25.-26.01) nehmen sie in der Dekadenz Brixen so ziemlich Alle und alles auf die Schippe: die Inkompetenz der Politik, knöchelfreie Hipster, Verschwörungstheorien, das bröckelnde Bildungswesen und das, was dabei herauskommt (siehe knöchelfreie Hipster). Mit beißender Ironie wird hier so richtig vor der eigenen Haustür gekehrt. Um verklärte Wirklichkeiten geht es hingegen in „Dirndl sucht Bauer“ (ab 18.01) des Grazer Kollektivs „Die Rabtaldirndln“. Fesche Mandr und rotbackige Moidln vor einem Postkartenpanorama – mit diesem idyllischen Bild werben die Alpenländer. Dass hier aber längst nicht alles muht, was Kuh ist, ja das stellen die Rabtaldirndln bitterbös unter Beweis. Und deshalb wird der Bauer auch nicht im Stall nebenan gesucht, sondern landesweit via TV, schließlich hat das ja schon öfters funktioniert…
Die Altlasten der Geschichte stehen in „Macht und Widerstand“ (9.01 Waltherhaus Bozen, 10.01 Stadttheater Meran) im Mittelpunkt des Geschehens. Das Gastspiel des Staatsschauspiels Hannover basiert auf dem Roman von Ilija Trojanow, der als Kind mit seinen Eltern aus Bulgarien fliehen hat müssen. Regisseur Dušan David Pařízek bringt das Ergebnis von Trojanows zwanzigjähriger Recherchen auf die Bühne. Wir erleben den Anarchisten Konstantin, der, nach einem Attentat auf ein Stalindenkmal, viele Jahre im Gefängnis verbracht hat. Nach dem Regierungswechsel von 1989 sucht er in den Akten nach Beweisen für seine Erlebnisse. Die Sicherheitsbehörden haben die Spuren aber gekonnt verwischt und so bleiben die brutalen Verhörmethoden von Konstantins Peiniger Metodi einzig in seiner Erinnerung lebendig. Ein ergreifendes Stück über Gewalt und Vertuschung im modernen Europa.
Von Ungerechtigkeit und Verbitterung handelt auch Felix Mitterers Monolog „Sibirien“, der ab 2.01 im Haus der Dorfgemeinschaft in Albeins von der Salbei Bühne präsentiert wird, Regie führt Peter Mitterrutzner. Der alte Herr Aigner sitzt unfreiwillig in einem Pflegeheim. Die dortigen Zustände erinnern ihn an das sibirische Arbeitslager, in dem er während des Zweiten Weltkriegs untergebracht war. Mitterer zeigt hier auf das immer noch nicht gänzlich aufgearbeitete Grauen der Gulags, er thematisiert gleichzeitig aber auch das Tabuthema Pflegebedürftigkeit im Alter.
Unterdrückte Gefühle bespielen im Haus der Kultur in Schlanders die Bühne. Das von Stefanie Carp für das Theater adaptierte Stück „Das Gartenhaus“ (18.01, am 19.01 im Forum Brixen) – nach dem Roman des mehrmals preisgekrönten Schweizer Schriftstellers Thomas Hürlimann – handelt von der latenten Zermürbung zweier Menschen, die fast ihr ganzes Leben miteinander verbracht haben. Der Tod des Sohnes löst bei einem alten Ehepaar einen Konflikt aus. Jeder bewältigt seine Trauer auf unterschiedliche Weise und der täglich stattfindende Gang zum Grab wird zum Spießrutenlauf, der von Hürlimann mit einer dezenten Prise Humor unterlegt wird. Regisseur Peter Carp inszeniert mit dem Theater Freiburg ein tragikomisches Stück über die Liebe und das Loslassen.
Von tragikomisch zu urkomisch wechseln wir mit dem Carambolage Bozen. Die zweisprachige Komödie „Wer ohne Sünde ist…“ (ab 3.01) von Brigitte Knapp und Christian Mair karikiert unsere multikulturelle Gesellschaft. Der 10-jährige Mohamed Ibrahim hat ein Fenster eingeschlagen und wird von der Mutter, dem Schuldirektor, dem Schuldiener und einer Lehrerin verhört. Dabei kommen interessante Fakten zutage. Hat unser eigenes Glashaus vielleicht mehr Löcher, als wir vermuten? Beim Improtheater „Schuld und Bühne“ (29.01) darf das Publikum hingegen einen Mord in Auftrag geben! Ganz im Sinne Dostoevskijs wird die Reue aber nicht lange auf sich (und auf den Richter) warten lassen.
Reue sollte wohl auch Herr K. zeigen, nur wofür? Das Theater in der Altstadt Meran zeigt mit Kafkas „Der Prozess“ (ab 15.01) einen Klassiker der Weltliteratur in der Bühnenfassung von Ruth Bader und Johannes Schmid, Torsten Schilling führt Regie. Die Hilflosigkeit treibt Herr K. ins Delirium, Misstrauen und Verfolgungswahn bestimmen sein Leben. Wird er dem Teufelskreis jemals entkommen? Ein Klassiker, der immer wieder zu überraschen vermag.
[Adina Guarnieri]