Das deutsche Theater im November
Trüber Monat, bunte Bühnen: Wir lassen uns nicht die Laune vermiesen
Die Tage werden kürzer und die Stimmung mieser? Ein Besuch im Theater bewirkt wahre Wunder.
Da wäre zum einen das 7. Kunterbunte Klein Kunst Festival Brixen, bei dem Jung und Alt gleichermaßen auf ihre Kosten kommen (12.-18.11.). Es erwarten Sie Künstler/innen aus 5 Ländern: Schauspiel, Puppen- und Figurenspielkunst, Erzähl- und Musiktheater, Pantomime, Clownerie; hier kommt man aus dem Staunen nur schwer wieder raus!
Wir bleiben in Brixen: die Dekadenz wartet mit den Schweizerinnen Les Reines Prochaines auf, die ihren „Schildkrötenritt“ präsentieren (8.11.). In einer Mischung aus Konzert und Kabarett beschäftigen sich Fränzi Madörin, Muda Mathis und Sus Zwick mit dem Älterwerden, natürlich gewohnt provokant und poppig. Weiter geht es mit „Und dann kam Mirna“, ein Theaterstück von Sibylle Berg (15.11., Regie: Elke Hartmann). Sind Sie auch schon über 30 und fragen sich, soll es das gewesen sein? Doch das durchschnittliche Dasein der schwangeren Mirna birgt auch seine komischen Seiten. Ein kluger, wie auch bissiger Kommentar zu den schizophrenen Anforderungen an die modernen Mütter von heute. Zum Schluss kommt Ulrike Haidacher mit ihrem „Aus Liebe“ an die Reihe (22.11., Regie: Dieter Woll). An diesem Abend wird Ihnen einiges zu Ohren kommen über alte Partydeko, Fleischwalzen, Hass und Opfergaben. Ulrike Haidacher gibt der Gegenwart einen Sinn und, was noch viel wichtiger ist, sie macht es aus Liebe.
Das Scheitern einer Liebe steht hingegen im Zentrum der Komödie „Der Vorwand“ von Pierre Sauvil, welche im Stadttheater Bruneck zum Besten gegeben wird (ab 10.11., Regie: Oliver Karbus). Ein Mann wird von seiner Frau verlassen, sein Bruder tröstet ihn mit einer Notlüge. Die Wut darüber zerfrisst den Mann innerlich. Ein Stück über die Freiheit und das Vertrauen.
Auch das Nationaltheater Mannheim bringt im Waltherhaus Bozen einen Betrug auf die Bühne: „Judas“ (06.11., 07.11. Stadttheater Meran). In Lot Vekemans Stück wird der Spieß allerdings umgedreht, denn der Apostel erzählt die Geschichte aus seiner Sicht. Musste er nicht den Messias verraten, um Gottes Plan durchzusetzen? Der gelähmte Schauspieler Samuel Koch überzeugte in diesem Solo-Stück das Publikum und die Presse mit seiner Bühnenpräsenz.
Was passiert, wenn verschiedene Kulturen und tief verwurzelte Vorurteile aufeinandertreffen? Regisseur Ulrich Waller inszeniert ebenfalls im Waltherhaus „Monsieur Claude und seine Töchter“, nach dem gleichnamigen Film von Philippe de Chauveron und Guy Laurent (ab 20.11.). Eine ironisch arrangierte Geschichte über Toleranz und Menschlichkeit.
Das Metropoltheater München zeigt mit „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ eine mehrfach preisgekrönte Komödie von Joachim Meyerhoff (27.11. Forum Brixen, 28.11. Stadttheater Meran, 29.11. Kulturhaus Schlanders). Das Stück handelt von einem jungen Nachwuchsschauspieler, der auszog, um die Bühnen der Welt zu erobern und zum Untermieter seiner Großeltern wurde. Diese stellen den Geist des Enkels auf den Prüfstand, die Schauspielschule erledigt den Rest. Und dann wäre da noch das Erwachsenwerden, das schon mehrmals an die Tür geklopft hat…
Zu den Vereinigten Bühnen Bozen: anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der ASAA (Verein Alzheimer Südtirol Alto Adige) verfasste Edith Moroder „Im Treibsand – Loslassen“ (ab 13.11., Regie: Christian Mair). Eine Mutter und eine Tochter. Zwei Menschen, die miteinander verbunden sind. Edith Moroder hat ihre an Alzheimer erkrankte Mutter jahrelang gepflegt und diese Erfahrung in einem Buch niedergeschrieben. Die Bühnenfassung von Brigitte Knapp zeigt einen Menschen, der sich im Treibsand seiner Gedanken verliert. Die Wahrnehmungswelten von Mutter und Tochter driften auseinander, eingespielte Rollen geraten ins Wanken.
Als Koproduktion mit der Frauentheatergruppe Phenomena zeigt das Theater in der Altstadt Meran „Eine nicht umerziehbare Frau“, in Gedenken an die 2006 ermordete russische Journalistin Anna Politkovskaja (ab 7.11., Regie: Eva Niedermeiser). Sie war eine Menschenrechtsaktivistin, die, nachdem sie die russischen Kriegsverbrechen in Tschetschenien aufgedeckt hatte, in ihrer Heimat verleumdet wurde. Ihr Leben nahm ein jähes Ende, als sie vor ihrer Wohnung umgebracht wurde – am Geburtstag von Präsident Putin.
Last but not least kommen wir zum Carambolage Bozen. Absolutes Highlight ist der 18. Europäische Kleinkunstwettbewerb „Niederstätter surPrize 2019” (6.-8.11.). Die Teilnehmer/innen präsentieren ein nonverbales oder mehrsprachiges Programm, ansonsten sind dem Spektakel keine Grenzen gesetzt. Den Gewinnern winken verlockende Preise, aber Vorsicht: Jury und Publikum lassen sich nur durch Qualität bestechen. 2018 hat das Schubert Theater Wien das Rennen gemacht. Und weil es so schön war, stattet das Figurentheater dem Carambolage mit „Was geschah mit Baby Jane?“ erneut einen Besuch ab (15.-16.11.). „FatihMorgana – analog aber sexy!” – das klingt bedrohlich. Aber keine Angst, der deutsch-türkische Kabarettist Fatih Cevikkollu will Sie nicht hinters Licht führen, sondern mit seinen Erkenntnissen erleuchten. Vermutlich jedenfalls. Denn in der Welt der digitalen Existenzen ist nichts so, wie es scheint. Getoppt wird seine analoge Sexyness nur von Julia Gámez Martín und Ariane Müller und ihrer Darbietung „Sexuelle Belustigung“ (29.-30.11.).
Die beiden preisgekrönten Musikerinnen lassen keinen Stein auf dem anderen, Konventionen und Klischees fliegen hemmungslos über Bord.
[Adina Guarnieri]