„Es bleiben Würde und Stille“
Roberta Dapunt über Lyrikübersetzungen und die Auswirkungen von Demenz
Die Autorin Roberta Dapunt schreibt Lyrik in italienischer und ladinischer Sprache. Vor kurzem erschien ihr neuer Gedichtband „die krankheit wunder | le beatitudini della malattia“ in deutscher Übersetzung im Folioverlag. In dem zweisprachigen Band geht es um Demenz und um das, was die Krankheit mit Betroffenen und Angehörigen macht.
Sie sprechen Italienisch, Ladinisch und Deutsch. In welcher Sprache schreiben Sie bevorzugt?
Italienisch.
Sie haben schon mehrmals einen zweisprachigen Band veröffentlicht. Finden Sie, dass Lyrikübersetzungen einen schlechten Ruf haben?
Warum sollten Lyrikübersetzungen einen schlechten Ruf haben? Zum Glück gibt es sie. Gute Übersetzungen übermitteln uns poetische Inhalte, sie vermitteln uns nicht nur unzugängliche Information, sondern vorwiegend ferne ästhetische Eindrücke. Dass ich zum Beispiel Marina Iwanowna Zwetajewa lesen kann, verdanke ich nur der Übersetzung.
Es heißt manchmal, dass ein übersetztes Gedicht nicht an das Original mit all seinen Feinheiten herankommen kann?
„Original“ heißt „ursprünglich“ und die Übersetzung ist eine Mediation des Ursprünglichen. Das, was dazwischen geschieht, sind nämlich die Feinheiten, in einem Gedicht eine Dichte von Feinheiten. An sie heranzukommen und sie weiterzugeben, ist die schwierigste Arbeit in jeder Übersetzung.
Ist es ein Kontrollverlust, wenn jemand anderes die eigenen Texte übersetzt?
Es handelt sich nicht um einen Kontrollverlust. Denn das würde heißen, dass der Dichter die absolute Kontrolle über den eigenen Text haben will. Persönlich geschieht mir das nicht. Wenn ein Gedicht einmal veröffentlicht ist, gehört es dem Leser. Wenn der Leser das Gedicht übersetzen will, dann ist es vorerst ein Wertgefühl und eine zusätzliche Erfüllung. Die Bestimmung der Übersetzung wird sich durch die Fähigkeit des Übersetzers oder der Übersetzerin erkennen lassen.
In Ihrem Buch geht es um Demenz. Was hat Sie zu dieser Themenwahl veranlasst?
Demenz geht weit über den Verlust der geistigen Fähigkeiten hinaus. Sie destabilisiert das Verhalten, die Wahrnehmungen und das Erleben des Kranken. Das gesamte Sein des Menschen, das Erleben einer Welt, die den Betroffenen allein lässt und wohin niemand zu folgen vermag. Das ist eine dramatische Existenz, wo Dichtung aber keimen kann.
Warum gerade hier?
Ich kann Ihnen hier nur aus meiner persönlichen Erfahrung antworten. Bei schönem Wetter habe ich Schwierigkeiten beim Schreiben.
Ein Thema ist auch die Schwierigkeit der Kommunikation. Demenz-Erkrankte leben oft in einer anderen Welt. Was bleibt, wenn Worte versagen?
Es bleiben zwei maßgebliche Werte: die Würde und die Stille. Würde heißt Akzeptanz der Unsicherheit und Fragilität des Seins, um mit einer Krankheit, auch in uns selbst, leben zu lernen. Und die Stille: In der Krankheit ergibt sich die Gelegenheit, ihre Notwendigkeit zu lernen.
Fallen solche Texte bewusst in diesen Augenblick, nach einem Jahr Pandemie?
Nein. Die Pandemie ist nur eine von vielen Krankheiten. Sie war und wird noch lange laut bleiben. Die leise Aufmerksamkeit der Dichtung bewahrt jeder Zeitraum.
[Teseo La Marca]
ZUR PERSON
Die Autorin Roberta Dapunt, Jahrgang 1970, lebt in Abtei im Gadertal, wo sie einen kleinen Bauernhof bewirtschaftet. Sie schreibt in Italienisch und Ladinisch, ihrer Muttersprache. Zahlreiche Texte wurden in Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht. Ihre italienischsprachigen Gedichtbände erscheinen in der angesehenen “weißen Reihe” des Turiner Verlags Einaudi. 2018 hat Dapunt den renommierten Premio Letterario Internazionale Viareggio - Rèpaci per la Poesia gewonnen.
Auf Italienisch sind u. a. folgende Bände erschienen: La terra più del paradiso (2008), Le beatitudini della malattia (2013), Sincope (2018). Auf Deutsch sind bei Folio erschienen: Nauz (2012/2019) und Dies mehr als paradies (2015). Ihr neuer Band „Die krankheit wunder | le beatitudini della malattia“ stand im Dezember 2020 auf der ORF-Bestenliste. Ins Deutsche wurde der Band von der Übersetzergruppe Versatorium übertragen.