Geradeaus Richtung Nordwesten
Sergio Camin im Kunstforum Unterland in Neumarkt
Im Dezember hätte der Künstler dort die Ausstellung „NO – nord-ovest“ zeigen sollen, diese wurde nun auf Februar verschoben. Ein Gespräch mit einem Wanderer der Kunst.
Sergio Camin zeigt „NO”: was verbirgt sich hinter diesem Titel?
Die Lösung ist recht einfach: „NO” ist ein Wortspiel, es setzt Grafik spielerisch um, aber nicht nur das; diese zwei Zeichen stehen für die Anfangsbuchstaben von „nord“ und „ovest“, also Nordwesten. Damit meine ich den Nordwesten Europas, den ich bereist habe und der in meinen Arbeiten wiederkehrt, wie viele andere Orte, die ich besucht habe. Die Küstenlandschaft der Bretagne mit ihrer sich stetig ändernden Morphologie und ihrem Farbspektrum hat mich fasziniert. Dasselbe kann ich nicht vom Essen sagen, aber die plateaux de fruits de mer haben mich gerettet.
Sind deine Landschaften real oder sind es Seelenlandschaften?
Eine Landschaft ist die Summe mehrerer Zeichen, der Natur und auch des Menschen. Diese können wir nicht immer voneinander unterscheiden und sie existieren auch nur, wenn sie von jemandem gesehen werden. Eine Landschaft ist deshalb immer ein Scheinbild der Seele, auch wenn wir uns sicher sind, dass sie real ist. Es gibt nie nur eine Landschaft, sie verändert sich im Auge des Betrachters, mit der Zeit oder je nachdem wie und ob jemand, und in diesem Fall meine ich mich, sich an sie erinnert und sie darstellt. Ich erzähle nicht von einer, sondern von meiner Landschaft und wenn ich will, dann verändere ich sie auch, was sehr oft passiert. Meine Landschaften sind deshalb Ausdruck einer Möglichkeit.
Könnte man die Klippen mit dem Schicksal des Menschen vergleichen, allein inmitten des Ozeans?
Du lehrst mich damit, dass, wenn man‘s gut ausdrückt, man fast alles sagen kann. Ob man ein Bild anschaut oder eine Landschaft, macht für mich keinen großen Unterschied. Deshalb ja, man könnte es so sagen, auch wenn die Klippen weniger an Menschen, sondern eher an die Städte erinnern, in denen sie leben, die aus verschiedenen Versatzteilen bestehen und oft unordentlich geordnet zusammengebaut sind. Aber jetzt wo du es ansprichst, fällt mir auf, dass auch wir Menschen uns in der Gruppe nicht groß voneinander unterscheiden. Wir sind dann auch angehäuft, gruppiert, dem Schicksal und der Zeit ausgeliefert.
Felsen kommen in deinen Arbeiten oft vor. Woher dieser „geologische” Ansatz?
Dahinter steckt kein wissenschaftliches Interesse, ich habe mehr schlecht als recht Geisteswissenschaften studiert. An den Felsen gefällt mir die Form, die sich ewig verändert. Steine sind hervorragende Weggefährten, sie haben einen schönen Charakter und sie sind nie beleidigt, wenn du sie anders darstellst, als sie effektiv sind, auch wenn sie verstehen, dass sie dir nur als Vorwand dienen. Vorwände sind immer wichtig. Ich bin mir bewusst, dass keiner der von mir gemalten oder gezeichneten Felsen wirklich existiert. Mit großer Wahrscheinlichkeit irre ich mich aber, denn die Steine sind besser als ich, besser als wir, und sie haben sicherlich mehr Erfahrung.
Du bist Künstler und Schriftsteller. Was kommt an erster Stelle?
Ich bin kein Schriftsteller, ich bin nur jemand, der zwischen dem einen und dem anderen Bild schreibt. Es gibt kein „vorher“ oder „nachher“. Bei mir, wie vermutlich bei vielen anderen, gibt es nur ein “während”, in dem dieses bizarre Etwas, das wir unser Leben nennen, stattfindet. Dieses gleicht einer Landschaft und ist in diesem Sinne ebenfalls eine Summe verschiedener Zeichen, die sich ständig verändern. Natürlich besteht eine gegenseitige Wechselwirkung zwischen Schrift und Bild, aber ich kann beides nicht auseinanderhalten und ich glaube, dass ihnen diese meine Unbeholfenheit gefällt.
[Adina Guarnieri]
ZUR PERSON
Sergio Camin (*1950, Bozen) lebt und arbeitet in Ville di Fiemme (TN). Er vereint Malerei und Grafik mit der Gestaltung narrativer Räume, alles im Dienste der Kommunikation.
Was: Ausstellung „NO“
Wann: Februar 2021
Wo: Kunstforum Unterland, Neumarkt