Keine Entschuldigung für Gewalt
Schriftsteller Josef v. Sand im Gespräch zu einem ernsten Thema
Vor zwei Jahren kam die Zwillingsschwester des Autors gewaltsam ums Leben. Der Vorfall schlug Wellen, in der nationalen und internationalen Presse, doch was bleibt abseits der Sensation? In dem Buch „Maria Magdalena – Vom Leben und Sterben meiner Schwester“ wird darüber berichtet.
Herr v. Sand, ihr Buch ist mittlerweile ein Bestseller. Wieso haben Sie es geschrieben?
Der Hauptgrund war die Eigenart, wie die Presse und die sozialen Netzwerke mit dem Vorfall umgegangen sind. Das Leben meiner Schwester wurde auf drei Wochen reduziert und wie ich finde einseitig gezeigt. In meinem Buch beschreibe ich ihr Leben vorher, die Kindheit, und wie es war, als uneheliches Kind im Südtirol der 1960er-Jahre aufzuwachsen. Die Arbeit am Buch war mit viel Herzeleid verbunden, all das Schreckliche kam wieder hoch, aber ich hatte die Wahl: Entweder ich schreibe aus erster Hand darüber oder warte ab, bis jemand anderes es macht.
Wie hat die Presse damals reagiert?
Die nationale und internationale Presse hat objektiv berichtet, auf lokaler Ebene war der Umgang zum Teil eher taktlos. Ganz schlimm waren die sozialen Netzwerke. Ein Freund hat mich sogar gewarnt, ein bestimmtes Portal besser nicht zu lesen. Er hat sich dann bemüht, dass die beleidigenden und infamen Inhalte entfernt werden. Ich habe Kommentare gelesen, die waren teilweise nicht zu glauben. Es ist leicht, wenn man sich hinter einem erfundenen Namen verstecken kann, da kommen die schlimmsten Dinge zutage.
Leider wird den Frauen beim Thema Gewalt oft eine Mitschuld zugeschrieben…
Ich kann das nur kategorisch verneinen. Welche Möglichkeiten hat eine Frau, die körperlich weniger stark ist und deren Urteilsvermögen vielleicht durch Alkohol oder andere Suchtmittel beeinträchtigt ist? Kann sie dann noch entschieden „nein“ sagen? Eine Frau trägt keine Schuld, denn es ist am Ende des Tages der Mann, der ihre/eine Situation ausnutzt.
Haben Sie sich vor dem Tod Ihrer Schwester schon mit dem Thema Gewalt befasst?
Ich verabscheue jegliche Form physischer und psychischer Gewalt, denn niemand hat das Recht, einem anderen Menschen Leid zuzufügen. Frauen sind vielleicht körperlich schwächer als Männer, aber emotional, geistig und sozial sind sie ihnen ohnehin überlegen. Auf dem Buchrücken sind zwei rote Schuhe abgebildet. Damit beziehe ich mich auf die Kampagne, die, ausgehend von Mexiko, auf die schwierige Situation vieler Frauen weltweit aufmerksam machen will. Das Thema ist mir ein Anliegen.
Ist das Schicksal von Maria Magdalena ein Einzelfall?
Am selben Wochenende, als meine Schwester starb, sind in Italien drei Frauen ermordet worden. Der Vorfall hat deshalb eine gewisse mediale Aufmerksamkeit erreicht, auch weil der Staatspräsident in einer Rede meinte, dass diese Situation nicht länger tolerierbar sei. Ich erhalte viele Reaktionen zum Buch, auch aus dem Ausland. Täglich erreichten mich bis zu hundert Nachrichten. Es besteht offensichtlich ein großes Bedürfnis, über dieses Thema zu sprechen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie viele Frauen gerade in Zeiten des „Lockdowns“ Gewalt erleben mussten. Es gibt leider in vielen Familien eine „Maria Magdalena“.
Was wollen Sie mit diesem Buch erreichen?
Ich spreche im Buch niemals über den Täter, es soll um meine Schwester gehen. In Südtirol wird mit Alkohol unachtsam umgegangen. Trinken ist gesellschaftlich respektiert, wenn man aber sein Maß verliert, kann es sein, dass man an den Rand der Gesellschaft gedrängt wird. Wir haben beim Thema Sucht hierzulande eine enorm hohe Dunkelziffer. Eine Leserin hat sich bei mir gemeldet und gesagt, dass sie ihr Leben und ihren Alkoholkonsum dank des Buches überdenken will. Ich will Menschen dazu bewegen, ihr eigenes Verhalten zu hinterfragen. Wenn auch nur eine Person reflektiert und dadurch ihr Verhalten ändert, dann ist schon viel erreicht.
[Adina Guarnieri]
ZUR PERSON
Josef v. Sand (*1964) wuchs in einfachen Verhältnissen und in einer erzkonservativen Gesellschaft auf, was ihn bis heute prägt. Neben seinem Debütroman „1.090.000 Schritte“ auf dem Jakobsweg, hat er noch zwei Kinderbücher verfasst: „Die kleine Spinne Agnes und ihre Freunde“ und „Die kleine Spinne Agnes macht Ferien“.