Lungomare - Eine Galerie der besonderen Art
Angelika Burtscher und Daniele Lupo und der andere Blick auf unsere Welt
Lungomare befasst sich seit 16 Jahren mit langfristigen, Disziplinen übergreifenden Projekten, die eines gemeinsam haben: die Auseinandersetzung mit dem Territorium. Zusammen mit Roberto Gigliotti und Lisa Mazza kuratieren Angelika Burtscher und Daniele Lupo den Kunstverein.
Lungomare vermittelt auf den ersten Blick nicht den Eindruck einer klassischen Galerie: Was macht den Unterschied?
Angelika: Lungomare ist ein Kulturverein, der 2003 gegründet worden ist. Lungomare arbeitet in einem interdisziplinären Feld zwischen Kunst, Design, Architektur, Stadtplanung und Theorie. Wir glauben ganz stark an diese unterschiedlichen Disziplinen, die sich gegenseitig ergänzen, inspirieren und in Projekten verschränkt werden. Im Zentrum der Kulturproduktion von Lungomare stehen das Territorium und die Frage: Wie können wir unsere Welt, unser Umfeld lesen, wie können wir andere Blicke auf dieses Umfeld werfen, wie können wir es erweitern? Darum arbeiten wir eng mit Gästen aus dem Ausland zusammen.
Wie geht ihr dabei vor?
Angelika: Als Beispiel fällt mir das Projekt nach der Flüchtlingswelle 2015 ein: Diese nahmen wir als Ausgangspunkt und wollten einen Künstler oder eine Künstlerin einladen, mit denen wir zum Thema Migration, Grenzen, Bewegung arbeiten wollten. Wichtig war auch eine theoretische Position. Wir haben uns entschieden, die vorwiegend partizipativ arbeitende italienische Künstlerin Beatrice Catanzaro und die holländische Migrationsforscherin Kolar Aparna einzuladen, die sich mit Grenzregionen beschäftigt; die beiden kamen alle zwei Monate eine Woche lang hierher, wo sie sich mit vielen Ehrenamtlichen, mit NGOs, mit Experten, Vereinen und Migranten selbst getroffen und all diese Menschen miteinander vernetzt und ins Gespräch gebracht haben. Es wurden immer wieder Workshops abgehalten, wo jeder seinen Beitrag leisten konnte. Zum Beispiel gab es viele Erzählungen, aus denen ein 20minütiger Audioguide für Bozen für die Strecke vom Bahnhof zur Quästur entstanden ist. Diesen kann man sich in verschiedenen Bibliotheken der Stadt und dem Bozner Verkehrsamt ausleihen oder auch online abrufen. Aus diesen vielen Biografien wurde ein einziger Text.
Eure Projekte sind als langfristig zu bezeichnen – ist das Projekt von 2015 beendet?
Angelika: Ja, das ist jetzt beendet, es ist fast zwei Jahre lang gelaufen. Wir nehmen uns immer sehr viel Zeit für unsere Projekte, wir recherchieren intensiv, wir möchten unseren Gästen wirklich die Möglichkeit bieten, tief einzutauchen und nicht nur ein paar mal herzukommen und schnell ein Projekt abzuschließen. Bei uns entsteht nach einer Recherche von eineinhalb Jahren eine Arbeit.
Was gab es sonst noch für Projekte?
Angelika: Das letzte lief die vergangenen eineinhalb Jahre und stammte von Sophie Krier, einer nomadischen Künstlerin, Forscherin, Pädagogin der Schule der Vertikalität. Sie wollte das Verständnis von Zugehörigkeit zu bestimmten Räumen wie Boden, Nationalstaat, Kultur, Spezies und Geschlecht in Frage stellen.
Wie konnte dieses umgesetzt werden?
Angelika: Das lief in vier Etappen. Wir haben zum Beispiel im Semirurali-Park einen überdimensionalen Webstuhl aufgebaut, der jetzt als Pergola ein spezielle Struktur geworden ist und bleibt. Die Leute konnten dort über einen Zeitraum von drei Monaten ihre persönlichen Geschichten weben. Das letzte Kapitel war die Neuerfindung einer Performance von Allan Kaprov aus dem Jahr 1968, die wir auf die Villanderer Alm gebracht haben. Da haben wir in der Nacht einen Zaun verschoben, metaphorisch eine Grenze verschoben.
Daniele: Zusammen mit 40 Leuten haben wir den Zaun auf die Alm gebracht; schon im Vorfeld gab es Vorträge zum Thema Grenze, Archäologie und Geschichte. Die 40 Menschen haben von Anfang bis zum Ende mitgemacht. Doch nicht nur diese unmittelbar Beteiligten haben von der Sache profitiert, sie hat Spuren hinterlassen. Man hat bei jeder Verschiebung des Zauns seine vorige Position mit Gips markiert und gefilmt; der Film wird im Herbst geschnitten wahrscheinlich nächstes Jahr fertiggestellt und präsentiert.
Auch die Vorbereitung hat sehr viele Menschen involviert, darunter einige Hüttenbetreiber. Die Performance hat sich herumgesprochen und ist vielen Menschen in Erinnerung geblieben.
[Silvia Amico]