Karin Schmuck: Mit Dante nach Gibraltar
Die Künstlerin gehört zu den fünf Preisträgern bei der Triennale Ladina 2019
„Fatti non foste a viver come bruti, ma per seguir virtute e canoscenza“, mit diesen Worten regt Dantes Odysseus seine Mannschaft dazu an, die Säulen des Herakles bei Gibraltar zu überqueren. Dieser Satz versinnbildlicht die Überwindung von Grenzen, sei es in geographischer, als auch mentaler Hinsicht. Karin Schmuck begab sich nach Gibraltar und suchte dort nach der unbekannten Welt. Ihre Arbeiten sind bis Mai 2020 im Museo Ladin Ciastel de Tor in St. Martin ausgestellt.
Karin Schmuck bei der Triennale Ladina: worum geht es bei Ihrem Projekt?
Mein Projekt trägt den Titel „Hercules’ Pillars“, die „Säulen des Herakles“. Es handelt sich um ein umfangreiches Projekt, deshalb werde ich bei der Triennale nur einen Teil meiner Bilder ausstellen. Die Säulen waren im alten Griechenland das metaphorische Ende der bekannten Welt. Laut Mythologie hat Herakles einst gesagt: „non plus ultra“, bis hierher und nicht weiter. Für mich war interessant, dass sich diese Grenze im Laufe der Antike mehrmals verschoben hat, weil die bekannte Welt immer größer geworden ist. Ich habe oft zu diesem Konzept recherchiert, auch weil viele Künstler und Schriftsteller – ich beziehe mich hier auf die Werke von Dante und Primo Levi – diese Idee aufgenommen haben.
Wie haben Sie das Projekt umgesetzt?
Meine Idee war jene, mich physisch an den Ort zu begeben und dort zu fotografieren. Mehrere Wochen lang bin ich sei es die andalusische, als auch die marokkanische Küste zu Fuß abgewandert. Es ging mir v.a. um die Sehnsucht nach dem anderen Ufer.
Die Landschaft lag eigentlich immer im Dunst und im Grunde hat man von beiden Küsten aus einen sehr ähnlichen Blick auf die andere Seite. In meinen Arbeiten erkennt man deshalb nicht, von welcher Seite aus das Bild aufgenommen worden ist. Das Projekt spannt einen Bogen zum heutigen Phänomen der Flucht über das Mittelmeer, an eben diesem Ort, wo Mittelmeer und Atlantik sich treffen. Es geht um das Überwinden von Grenzen, um die Hoffnung auf eine bessere Welt und den Aufbruch ins Ungewisse.
Hat Sie Ihr künstlerischer Werdegang an fremde Orte verschlagen?
Ich habe in Urbino Malerei studiert und nach meinem Abschluss habe ich einige Jahre in Wien gelebt.
Daraufhin bin ich nach Bologna gegangen, wo ich einen Master in Fotografie absolviert habe. In Wien und Bologna habe ich Erfahrungen im Bereich Tanz und Tanztheater gesammelt. Die performative Komponente hat mich beeinflusst, denn es verändert dich, wenn du mehrmals die Woche probst und deinen Körper erforschst. Die Wahrnehmung der Umwelt durch den Körper wird geschärft.
Der menschliche Körper spielt in Ihren Arbeiten eine wichtige Rolle?
Ich erschaffe Porträts, aber porträtiere dabei keine bestimmte Person. Es geht mir um Figuren, die stellvertretend für eine größere Gruppe stehen. Eigentlich wird ein Porträt ohne Gesicht in der klassischen Fotografie als fehlerhaft angesehen. Es entsteht eine Art Irritation, wenn das Wichtigste im Bild, das Gesicht, fehlt. Ich versuche Bilder zu kreieren, bei denen der Betrachter gerade wegen dieser Irritation stehenbleibt, mehrmals hinschaut und sich fragt: was sehe ich hier eigentlich? Ich möchte die Menschen zu einem Denkprozess anregen.
[Adina Guarnieri]
ZUR PERSON
Karin Schmuck (*1981 in Bozen) lebt und arbeitet in Seis und Bozen. Für ihre Werke hat sie mehrere Preise gewonnen, u.a. jenen der Fondazione Carlo Gajani. Neben ihrer Kunst hat sie sich für längere Zeit als Freiwillige bei Entwicklungsprojekten in Tansania und Peru engagiert.