Hamlet, Ibsen & Co. im Oktober
Europa oder nicht Europa? Das ist hier die Frage...
Die Theatersaison 2019/20 beginnt engagiert und beleuchtet die dringenden Fragen unserer Zeit.
Politisch relevante Themen, Fake-News und die Abgründe der menschlichen Seele sind das Leitmotiv im Monat Oktober. Dabei macht das Theater in der Altstadt Meran keine Ausnahme, denn gezeigt wird Henrik Ibsens „Ein Volksfeind“ aus dem Jahre 1882 (ab 10.10.). Darin beanstandet Ibsen die Oberflächlichkeit der öffentlichen Meinung, die oft unüberlegt als Wahrheit akzeptiert wird. Eine Norwegische Küstenstadt im ausgehenden 19. Jahrhundert: Dr. Stockmann möchte die Stadt in einen wohlhabenden Kurort verwandeln. Plötzlich bemerkt er aber, dass das Wasser des Bades gesundheitsschädlich ist. Er will das Vorhaben stoppen, aber die Bürger fürchten sich vor finanziellen Einbußen und machen Stockmann das Leben schwer. Ein Drama, das perfekt in unsere Zeit passt.
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge beschäftigen sich die Vereinigten Bühnen Bozen mit dem angekratzten Image der Europäischen Union. Die Regisseure Serena Sinigaglia und Carlos Martín schauen über den politischen Tellerrand hinaus und präsentieren ein mehrsprachiges Stück, welches sich auf humorvolle Weise mit den kleinen und großen Stolpersteinen der Geschichte auseinandersetzt und dabei den Facettenreichtum Europas auf die Bühne bringt. „Europa Cabaret“ ist ab dem 8. Oktober im Centro Trevi zu sehen.
Schmutzige Wahrheiten stehen in Eugène Labiches Komödie „Die Affäre Rue de Lourcine“ auf dem Programm (ab 12.10.). Regisseur Thomas Gratzer wählt die Übersetzung von Elfriede Jelinek. Der wohlhabende Lenglumé und sein Freund Mistingue wachen beide mit einem Filmriss auf. Ihre Hände sind rabenschwarz und in der Wohnung finden sie rätselhafte Gegenstände. Aus der Zeitung erfahren sie, dass vergangene Nacht ein Kohlemädchen ermordet worden ist. Was tun? Zur Polizei gehen? Oder alle Indizien beseitigen und weiterleben? Mit scharfem Humor blickt das Stück hinter die vermeintlich blitzblanke Fassade einer spießbürgerlichen Gesellschaft.
Eine ausweglose Situation, Krieg gegen einen unbekannten Feind. Das Carambolage Bozen zeigt Bernard-Marie Koltès‘ „Hamlet. Der Tag der Morde“ (ab 4.10.), in dem Shakespeares Figur zum Antihelden einer Gesellschaft wird, die nur auf sich selbst bedacht ist. Koltès reduziert die Handlung auf die vier Hauptfiguren Hamlet, Ophelia, Claudius und Gertrud. Hamlet verdächtigt Claudius des Mordes an seinem leiblichen Vater, jedoch fehlt es ihm an genügend Rückgrat, um den Tod des Vaters zu rächen. Stattdessen wütet er gegen den Rest der Familie und treibt sich selbst und die anderen in den Ruin und sogar in den Tod. Weniger dramatisch aber nicht minder gefährlich wird dafür der Halloween-Abend à la Improtheater. Am 31. Oktober wird wieder wild gespielt, wie immer ohne Drehbuch und mit viel Gespür für den richtigen Moment. Frei nach dem Motto „immer süß lächeln, sonst gibt es Saures!“ verspricht das Carambolage einen gruseligen Abend zwischen Geistern, Hexen und Zombies.
Apropos Halloween; noch bis 11. Oktober läuft in der Dekadenz Brixen „Gespräch wegen der Kürbisse“, eine Komödie von Jakob Nolte über Realität und Fiktion, Fake-News und Wahrheit (Regie: Anna Heiss). In der Zwischenzeit steht die österreichische Künstlerin Elisabeth Löffler schon mit ihrem Programm „Fix me if you can - Reparaturanleitung für eine Person mit Behinderung“ in den Startlöchern (18.-19.10). Wenn Jesus einen Blinden heilen konnte, dann sollte er dasselbe wohl auch bei einer Person im Rollstuhl bewerkstelligen können? Und sollte das nicht funktionieren, könnte man es mit einer Reise nach Lourdes probieren? Elisabeth Löffler erzählt die Geschichte einer Familie, die ihrem Kind eine Zukunft auf zwei Beinen ermöglichen möchte. Es ist die Suche nach einem Wunder, welches in dieser „Sit-Down-Comedy“ mit Eigenironie und Feingefühl erzählt wird. Das ebenfalls österreichische Kollektiv Kollinski widmet sich an seinem interaktiven Theaterabend dem Thema der Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern.
In „77 Cent – Karriere kein Kinderspiel“ verschwimmen die Grenzen zwischen Bühne und Realität (25.10). Caroline Mercedes Hochfelner und Susanne Lipinski versprechen Spannung, Erkenntnis und Seelenfrieden, aber vorher muss das mutigen Publikum sich erst durch sieben ironisch gemeinte Module arbeiten/kämpfen/wagen, in denen die Rolle der Frau in der Gesellschaft und die praktisch nicht vorhandene Gleichberechtigung in Sachen Entlohnung diskutiert wird. Mitreden ist hier mehr als erlaubt und ganz im Sinne der Regisseurin Karin Gschiel.
Mit einem Theaterkurs speziell für Kinder wartet hingegen das Theater im Hof in Bozen auf. Von Oktober 2019 bis Jänner 2020 bietet Barbara Fingerle einen Workshop für Kinder ab 7 Jahren an, bei dem die Kleinen selbst auf der Bühne stehen und ihrer Kreativität freien Lauf lassen können (Anmeldung erforderlich). Und auch sonst ist das Herbstprogramm im Hof sehr abwechslungsreich und hält einige Überraschungen parat. Gezeigt wird u.a. eine Geschichte aus der beliebten Kinderbuchreihe „Pettersson und Findus“ von Sven Nordqvist (ab 24.10).
[A. G.]