Facetten unserer Zeit
Die Künstlerin AliPaloma im Gespräch
In ihren Werken beschäftigt sie sich mit der Digitalisierung und unserem Drang zur Selbstperfektionierung.
Der Mensch steht im Zentrum von AliPalomas Schaffen. Künstliche Lebens- und Denkräume werden von ihr unter die Lupe genommen und ästhetisch in Szene gesetzt. Aber die Hochglanzoptik ihrer Werke trügt, denn hinter der glatten Oberfläche verbergen sich oft Kritik und Skepsis gegenüber unserem Zeitgeist.
Erste Frage an AliPaloma: Sie verfolgen einen vielseitigen Ansatz. Ist die Technik Mittel zum Zweck oder Teil des Werks?
Ich gehe meist von einer Idee aus und suche dann nach einem Mittel, dieser die bestmögliche Form zu geben. Idee und Medium beginnen miteinander zu arbeiten und generieren sich gegenseitig. Dabei kann eine Umsetzungsschwierigkeit auch Schlüssel einer Arbeit werden. Bei der Installation „Reflection“ wurde eine Videoprojektion aus Finanzierungsschwierigkeiten anstatt über mehrere Beamer nur auf einen einzigen konkaven Straßenspiegel projiziert. Die Spiegelung hat aber schlussendlich den gesamten Kirchenraum der St. Sebastiankapelle in Klausen geflutet.
Und wenn das Material vor der Idee kommt?
Das war bei meiner Installation „Unter die Haut“ der Fall. Ich habe ein Material gefunden, eine Trittschalldämmung, die aussieht wie eine chemische Haut. Sie ist ganz glatt und glänzt und erinnert an Brazilian Waxing. Dieses Material hat mich nicht mehr losgelassen. Aus dieser Haut entstand eine glatte Lusttapete, die von chirurgischen Eingriffen gezeichnet ist und die hemmungslose Schönheitschirurgie thematisiert.
Sie befassen sich mit unserem digitalen Zeitalter. Wie kommt das in Ihrer Kunst zum Ausdruck?
Die Digitalisierung hat viele positive Aspekte mit sich gebracht, aber sie hat auch zu einem neuen Phänomen, der Einsamkeit bei Jugendlichen, geführt. Hirnforscher sprechen gar von einer Epidemie, die einerseits auf die Urbanisierung, andererseits auf die zunehmende Nutzung von sozialen Medien zurückzuführen sei. Den neuen Einsiedler nennt der Philosoph Byung Chul Han „homo digitalis“. Sein Schauplatz ist das Bett. Dieses stand in meiner Installation „Allein im Schwarm“ verkabelt im Raum und konnte wie eine Skulptur umwandert werden. Ich lag einfach stundenlang da und vernetzte mich in der digitalen Welt.
Auch das Thema der weiblichen Diversität ist Ihnen ein besonderes Anliegen…
„thevulvaproject“ entstand 2016 einerseits als Reaktion auf die Tabuisierung des weiblichen Geschlechts und andererseits als Ablehnung einer ästhetischen Idealvorstellung davon. Es ist eine Antwort auf den weltweiten Boom von Schamlippenkorrekturen und Labioplastiken. Das Bewusstsein über die Diversität des weiblichen Geschlechts fehlt und das „thevulvaproject“ soll genau hier zu einer Aufklärung führen.
Welche Rolle sollte zeitgenössische Kunst heutzutage spielen?
Zeitgenössische Kunst kann/soll nicht nur Ausdruck des schaffenden Subjekts sein, sondern auch für Viele sprechen, sie ist schließlich Ausdruck unserer Zeit. In meiner Position als Künstlerin finde ich es auch meine Verantwortung gewisse politische oder soziale Themen zu beleuchten. KünstlerIn zu sein bedeutet eine Stimme zu haben, die keinen Interessen verpflichtet ist und die ihre Glaubwürdigkeit daraus schöpft.
[Adina Guarnieri]
ZUR PERSON
AliPaloma (*1992 Brixen), Studium der Architektur in Innsbruck. Ihr Schaffen umfasst Installationen, Objekte und Fotografie. Zuletzt hat sie das Bühnenbild zu „Gespräch wegen der Kürbisse“ in der Dekadenz Brixen gestaltet.