Das versunkene Dorf
Filmclub Sterzing zeigt Doku über das Bergdorf Graun
1950 wird das kleine Südtiroler Dorf Graun am Reschenpass zwecks Stromgewinnung geflutet. Alles geht unter – nur der Kirchturm ragt noch heute aus dem See. Georg Lembergh und Hansjörg Stecher haben einen Dokumentarfilm über das Schicksal des Bergdorfs gedreht, der 2018 Premiere feierte und im April im Stadttheater Sterzing zu sehen ist.
Georg Lembergh, der aus dem See ragende Kirchturm am Reschenpass – jeder, der schon mal in Südtirol war, kennt dieses Bild und vielleicht auch die Geschichte dahinter. Wie kam es zu der Idee, eine Dokumentation darüber zu machen?
Mein Großvater stammt aus St. Valentin, einem Nachbarort von Graun. Deshalb kenne ich die Erzählungen rund um das „versunkene Dorf” und habe auch immer noch Verwandte da oben am See. Mit der Dokumentation kehre ich quasi zu meiner Kindheit und den vielen Geschichten zurück, die ich nie vergessen konnte. Nach meinem Film- und Fotografie-Studium habe ich zuerst für verschieden Magazine gearbeitet und mir dann um 2000 ein zweites Standbein im Bereich Film aufgebaut. „Das versunkene Dorf” war mein erstes Projekt, was sich relativ lange hingezogen hat, weil immer wieder Leute verstorben sind und die Finanzierung des Films ungeklärt war. 2014 haben wir dann gestartet, ab da war auch der Historiker und gebürtige St. Valentiner Hansjörg Stecher mit an Bord.
Wie seid ihr bei euren Recherchen vorgegangen, auf welche Quellen konntet ihr zurückgreifen? Ist der Zugang zu einem solchen Projekt angesichts der beinahe ikonographischen Dimension des versunkenen Dorfes ein besonderer?
Natürlich habe ich einen großen Startvorteil: Ich konnte mich von meinen Verwandten von einem Zeitzeugen zum nächsten lotsen lassen und habe so sehr viel über das Dorf und seine Geschichte erfahren. Bald haben wir die Buchautorin Brigitte Maria Pircher kennengelernt, die ihre Diplomarbeit über den See geschrieben hat; so kam eins zum anderen.
Doch obwohl es jede Menge Fotos und Zeitzeugen gibt, war es für Hansjörg insgesamt nicht leicht, Quellen anzuzapfen. Interessanterweise gab es auf Südtiroler Seite wenig Interesse an dem Thema, Hansjörg und Brigitte sind beinahe die Einzigen, die sich als Historiker*innen damit befassen. Unsere Vermutung ist, dass es sich um ein großes Tabu handelt, das niemand anfassen wollte. Denn der See und das versunkene Dorf sind sozusagen Mahnmale: das, was die Sieger des Krieges hinterlassen und den Südtirolern aufoktroyiert haben. Sie stehen für Erinnerungen an Niederlage, Vertreibung, Tod. Das haben wir bei unserer Arbeit sehr stark gemerkt.
Die Geschehnisse von damals sind in den Köpfen der Grauner*innen also noch sehr präsent. Wie gehen jüngere Generationen mit der Geschichte um?
Es gibt noch immer viele offene Wunden. Wir haben immer wieder erlebt, dass Zeitzeugen nicht direkt am Filmufer drehen wollten, ja dass sie seit den Geschehnissen nie wieder einen Fuß in den See mit den versunkenen Feldern und Äckern gesetzt haben. Aus Rücksichtnahme ist lange nichts geschehen, was eine Aufarbeitung der Ereignisse ermöglicht und damit dem Stillstand des Ortes etwas entgegengesetzt hätte. Die ganze Gegend war in einer Art Dornröschenschlaf, erst seit der Jahrtausendwende werden vorsichtigere Schritte unternommen, den Fremdenverkehr anzukurbeln und das Dorf wieder zu beleben.
Parallel zum Film ist auch ein Foto-Buchprojekt entstanden. Wie wichtig war es Ihnen, sich der Thematik auf unterschiedliche Ebenen zu nähern?
Im Laufe der Zeit haben wir viele Gespräche geführt und tolle Fotos gemacht, sodass es sich irgendwann förmlich aufgedrängt hat, zusätzlich zum Film noch ein Buch zu veröffentlichen, um die ganzen Quellen noch besser erschließen zu können. Da haben Brigitte Maria Pircher und ich über 25 Zeitzeugen zu Wort kommen lassen und versucht, den aktuellen Stand der Forschung darzustellen. Gewissermaßen wollten wir den Graunerinnen und Grauner damit auch ein Denkmal setzen. Die Rückmeldungen waren dann durchweg positiv, auch von den älteren Menschen, die anfänglich skeptisch waren, ob wir nicht – wie so viele Medienschaffende vor uns – bald wieder verschwinden würden. Als sie gemerkt haben, dass wir es ernst meinen und bleiben, war es für uns alle eine sehr schöne Erfahrung. Wir haben uns mit vielen von ihnen angefreundet und ich besuche Graun noch immer regelmäßig.
[Daniela Caixeta Menezes]
ÜBER DEN FILM
„Das versunkene Dorf” ist ein Dokumentarfilm von Georg Lembergh (Regie und Kamera) und Hansjörg Stecher (Line Producer und historische Beratung).
Stadttheater Sterzing | am 14.4. um 16 Uhr
Tickets : www.filmclub.it.
Derzeit arbeitet Georg Lembergh an seinem neuen Filmprojekt „Gegen das Schweigen”, das sich mit sexuellem Missbrauch in Nord-und Südtirol auseinandersetzt.