Schreibend zum Verstehen beitragen
Ein Gespräch mit dem Autor Peter Disertori
Soeben ist sein Buch “Anschlag auf Bozen – Der Roman zum letzten bewaffneten Widerstand der 1960er-Jahre in Südtirol” in deutscher Sprache erschienen, das sich einem dunklen Kapitel der bewegten Südtiroler Geschichte widmet. Der Thriller wurde bereits 2007 im italienischen Original veröffentlicht. Höchste Zeit also, den Schriftsteller und sein Werk besser kennenzulernen.
„Anschlag auf Bozen“ handelt von den schwarzen Jahren des sogenannten Terrorismus in Südtirol. Was hat Sie bewegt, diesen Roman zu schreiben?
Als ich Mitte der 1960er Jahre als Südtiroler nach Mailand gezogen bin, wurde ich ständig auf die Situation in meiner Heimat angesprochen und musste immer erklären, wie so etwas passieren kann: dass ein Teil der Bevölkerung bereit ist, die Waffen in die Hand zu nehmen. Dadurch ist mir die Idee gekommen, darüber zu schreiben. Über ein Thema also, das in vielerlei Hinsicht immer noch brennend heiß ist.
Spätestens während meiner Vorbereitung ist mir dann klar geworden, dass die Dinge nicht immer schwarz und weiß sind, sondern dass dazwischen immer auch noch andere Wahrheiten sein können. Und in einem Roman darf ich alles schreiben und mich eben auch diesem Dazwischen widmen.
Sich eines solchen historischen Ereignisses anzunehmen, ist immer ein großes Unterfangen. Wie sind Sie dabei vorgegangen und was war Ihnen als Schriftsteller wichtig mit Blick auf die Geschichte?
Die Handlung und die Personen sind natürlich reine Fiktion, aber sie basieren auf meinen eigenen Erinnerungen. So weiß ich noch genau, wie wir von der Polizei angehalten wurden, sobald wir zu Dritt unterwegs waren. Oder wie überall Sandsäcke postiert wurden. Ich habe mitbekommen, wie Zuhause darüber gesprochen wurde – und wie anders die offizielle Darstellung in der italienischen Schule lautete. Es war ein großer Schock für mich, zu sehen, wie die Wahrheit manipuliert wurde. Deshalb war es für mich wichtig, weiterzugeben, was ich erlebt habe. Man darf nicht vergessen.
Als ich dann 2007 das Buch in ganz Italien vorgestellt habe, war der Tenor immer derselbe: Die Menschen sagten, sie hätten nichts von all dem gewusst – weder von der Option, noch vom Verbot des Namens Tirol oder dem Katakomben-Deutsch. Es sei ihnen Zeit ihres Lebens verschwiegen worden, aber jetzt würden sie verstehen.
„Anschlag auf Bozen“ ist ein Heimat-Thriller. Sie schreiben aber auch Essays und Kurzgeschichten. Wie wichtig ist es Ihnen, sich nicht auf ein Genre festzulegen?
Ich liebe Geschichte und Geschichten ganz generell. “Anschlag auf Bozen” ist in meinem Kopf eigentlich schon viel älter, weil ich die Zeit als Jugendlicher erlebt habe. Als ich kürzlich die entscheidenden Orte in der Grenzregion – wie beispielsweise den Krimmler Tauern zwischen Brixen und Salzburg – wieder besucht habe, war ich überrascht, wie akkurat meine Erinnerungen daran noch waren.
Mein erwachsenes Ich hat dann das Glück gehabt, mit den richtigen Leuten in Israel gewesen zu sein, wo ich auf die Qumran-Rollen vom Toten Meer gestoßen bin. Zehn Jahre lang habe ich mich dann mit der Frage beschäftigt, wie ausgehend von diesen Funden die Geschichte unserer Religion, insbesondere die der katholischen Kirche, auch anders gelesen werden kann.
Sie sind in Trient geboren und in Bozen aufgewachsen. Welche Bedeutung hat die Region Trentino-Südtirol für Ihr Schaffen?
Meine Heimat sind diese Berge und Berge haben keine Grenzen. Pässe führen über sie hinweg, während “passare” sich mit “durchgehen” übersetzen lässt. Sie sind immer eine Brücke, wie auch Südtirol für mich eine Brücke ist – eine Brücke der Sprachen, der zirkulierenden Ideen, die das Beste aus den Welten vereint (Stichwort italienische Renaissance & deutsche Aufklärung). Die brutalen Grenzen kamen erst viel später mit den Kriegen. Aber meine Familie kennt solche Grenzen nicht: Mein Großvater ist in Lienz geboren, er fühlte sich deutsch, italienisch, slawisch und ungarisch. Aus dieser Region zu kommen, ist ein Kapital, das bleibt. Mit meiner Arbeit möchte ich erreichen, dass die Menschen verstehen, was dahinter ist. Und auch erkennen, welche Vorurteile warum bestehen.
Was wird Ihr nächstes Projekt?
Ich möchte die Geschichte meiner Heimat durch Fakten, Erinnerungen und Anekdoten erzählen. Angefangen bei meiner sudetendeutschen Urgroßmutter bis hin zu Admiral Nelson, über den Gerüchte kursieren: Ich habe viele Erzählungen im Kopf, die ich weitergeben möchte, damit sie nicht verloren gehen. Am Ende soll dabei gewissermaßen eine Geschichte zwischen den Zeilen herauskommen. Es wird auf jeden Fall langwierig und komplex, aber ich habe bereits angefangen.
[Daniela Caixeta Menezes]
ÜBER DEN AUTOR UND SEIN WERK
Peter Disertori ist 1950 in Trient geboren, in Bozen aufgewachsen und Mitte der 1960er Jahre nach Mailand gezogen. Er hat klassische Studien in Bozen und Mailand studiert und wohnt heute am Gardasee.
In 2007 wurde der Roman „Dolomiti di piombo – Gli anni neri del terrorismo in Alto Adige” “veröffentlicht. In 2017 wurden zwei Essays „I segreti di Qumran“ und „Religioni contro“ publiziert.