Das Mittelalter war/ist bunt!
Warum ein Südtiroler dänischer Kapitän ist und das Mittelalter liebt
Er ist vielseitig interessiert und seine Lebensgeschichte ist bunt wie ein Kaleidoskop: Charles von Rafenstain liebt das Mittelalter und wäre wohl am liebsten in dieser Epoche geboren worden. Im Brotberuf allerdings ist er Kapitän der Königlichen Marine in Dänemark und kommandiert ein Überwachungsschiff.
Wie bitte? Gegensätzlicher geht es wohl kaum. Da die hierarchisch geordnete, streng nach Vorschrift und rational funktionierende Marine – dort die Leidenschaft für das mittelalterliche Leben und der Drang, historisch belegbaren Personen des Mittelalters in Romanen Leben einzuhauchen. Charles von Rafenstain hat zwei Bücher geschrieben – das dritte steht kurz vor dem Abschluss –, welche von Abenteuern, ritterlichen Idealen und Traditionen Tirols im Mittelalter erzählen.
Herr von Rafenstain, woher kommt Ihre Faszination fürs Mittelalter?
Diese Epoche hat mich schon immer sehr interessiert. Ich glaube, ich bin mit diesem Interesse geboren worden (lacht). Ich konnte von meinem Zuhause aus die Burgruine Rafenstein am Eingang ins Sarntal sehen, und meine Mutter hat mir erzählt, dass meine erste Zeichnung als kleines Kind diese Burg darstellte. Mit acht Jahren war ich zum ersten Mal bei der Ruine und verspürte den starken Wunsch, Burg Rafenstein wieder auferstehen zu sehen. Als junger Erwachsener, Ende der 1990er-Jahre, konnte ich meine Begeisterung fürs Mittelalter in der „Gesellschaft des Elefanten“ ausleben. Im Zuge dessen habe ich vom Mittelalterzentrum „Middelaldercentret Nykøbing“ in der Nähe von Sundby auf der Insel Lolland im Süden Dänemarks erfahren. Dorthin bin ich dann im Jahr 2000 ausgewandert und mit offenen Armen und einer unglaublichen Herzlichkeit empfangen worden. Ich fühlte mich sofort angekommen.
Einige festgefahrene Ansichten über das angeblich „finstere Mittelalter“ werden gerade von der Forschung widerlegt. Was meinen Sie dazu?
Das ist absolut richtig. Seit rund zehn Jahren wird das Bild vom „finsteren Mittelalter“ Stück für Stück zerlegt. Dazu tragen Ausgrabungen, aber auch Studien, Forschungen und Experimente bei, wie sie etwa im Mittelalterzentrum in Sundby stattfinden. Es ist ein experimentelles archäologisches Testzentrum und ein wissenspädagogisches Aktivitätszentrum, in dem mit authentischen Methoden und Werkzeugen wie im Mittelalter gelebt und geforscht wird. Es ist ein Nachbau einer ganzen Siedlung entstanden, in der man auch einige Wochen auf Probe verweilen kann, wenn man möchte. Das Mittelalter war absolut bunt! Kleider wurden zum Beispiel mit Indigo gefärbt und das Leben war rege und abwechslungsreich. (Aufgrund der Authentizität der Nachbauten diente und dient das Museum als Kulisse für Dokumentationen des National Geographic und weiterer namhafter Fernsehreihen, Anm. d. Red.).
Ihre beiden Bücher handeln vom Mittelalter in Tirol, eingebettet in eine spannende Geschichte. Die Protagonisten sind historisch dokumentierte Personen. Wie wurden Sie zum Romanautor?
Durch die „Gesellschaft des Elefanten“ bin ich auf den Ritter Franzisk von Rafenstain gestoßen, welcher nachweislich im Jahre 1321 auf Schloss Auer geboren wurde. Ich begann, mich für sein Leben zu interessieren, und fasste den Entschluss, ihn und weitere Personen sozusagen aus der Vergangenheit zu retten, indem ich die Geschichte niederschrieb. Das erforderte viel Recherche. Ich wusste ja nicht, wie man Quellen oder Fußnoten liest oder wo man Manuskripte und Notarialakte findet. Dabei bekam ich Hilfe von Experten, wofür ich sehr dankbar bin. Erstaunlich ist, dass es in Tirol noch unzählige Urkunden und Dokumente aus dem Mittelalter gibt, teilweise immer noch nur im Kanzleigotisch verfasst. Da gäbe es noch unfassbar viel zu entdecken! In meinen Büchern sind die historischen Informationen in eine spannende Geschichte verpackt. Mein Wunsch war es, ein Kopfkino entstehen zu lassen, wo man beim Lesen die ansonsten oft trockenen geschichtlichen Fakten sozusagen unbewusst mit aufnimmt.
Wollen Sie uns verraten, wie Sie zu Ihrem Namen gekommen sind?
Mein Geburtsname ist Charles Jones. Mein Vater war Brite und da musste der Junge natürlich auch einen englischen Vornamen haben, auch wenn wir in Südtirol lebten (lacht). Vor einigen Jahren hat mich die dänische Königin Margrethe zum Ritter erhoben, als Anerkennung dafür, dass ich bei einem Einsatz zwei Menschen das Leben gerettet hatte. Da darf man sich traditionell einen neuen Nachnamen aussuchen. Welcher das sein würde, daran bestand kein Zweifel (lacht). Meine Anfrage wurde ganz offiziell nach Rom geschickt und dort genehmigt, der gewählte Name musste ja erloschen sein; es durfte keinen lebenden Namensträger geben. Als ich den Reisepass mit meinem neuen Namen in Händen hielt, war das schon etwas Besonderes.
Nun sind Sie ja Kapitän der dänischen Marine. Wie geht das mit der Faszination fürs Mittelalter zusammen?
Grundsätzlich gefällt mir beides sehr gut, und nur ein Tätigkeitsfeld wäre mir zu langweilig. Um zur Marine in Dänemark zugelassen zu werden, muss man entweder mit 18 Jahren schon auf die Offiziersakademie – da war ich bereits zu alt dafür – oder die dänische Staatsbürgerschaft erhalten und dann die Ausbildung beginnen. Darauf habe ich neun Jahre lang gewartet, inzwischen intensiv Dänisch gelernt, die Akademie absolviert und mich vom Matrosen ganz klassisch emporgearbeitet. Bei der Arbeit auf dem Schiff muss ich strategisch denken und mental bereit sein. Meine Zone liegt zwischen Dänemark, Deutschland und der Insel Bornholm. Das ist internationales Gewässer mit wichtigen Schifffahrtsrouten, da kann schon einiges los sein. Ich kann aber auch von einer Minute auf die andere auf den kreativen Prozess umschalten. Es kann vorkommen, dass mir eine Idee für meine Romane kommt. Dann sage ich zum Ersten Offizier, er solle den Kurs halten, denn ich müsse „Dokumente sichten“ – und ich bin ab in die Kajüte und schreibe meine Geistesblitze nieder (lacht)
[Sibylle Finatzer]
ZUR PERSON – CHARLES VON RAFENSTAIN
Geboren 1976, aufgewachsen in Südtirol, seit 2000 in Dänemark wohnhaft
Mitglied in der „Gesellschaft des Elefanten“ und bei „Miles Rafenstain et Servitus“
Kapitän der Königlich Dänischen Marine
Bücher, bei effekt! Verlag erschienen:
Der Ritter von Rafenstain ISBN 978-8897053736
Katrines Lied ISBN 978-8897053927