Endlich: Es geht wieder los!
Die neue Theatersaison startet mit einem Tusch.
Darauf hat das Publikum mehrere Monate gewartet und nun sind Südtirols Bühnen startklar für das Programm 2023/24. Freuen Sie sich auf Klassiker des modernen Theaters, viel Humor und aktuelle Themen. Es wird nämlich einiges geboten, weshalb wir gleich in medias res beginnen, und zwar mit…
…dem Südtiroler Kulturinstitut. Den Anfang macht Brechts Gespenster (04.-05.10. Waltherhaus Bozen). Regisseurin Suse Wächter ist eine Meisterin des Puppenspiels. Ihre Puppen sind täuschend echte Kopien unvergessener Stars, Leitfiguren der Geschichte und Dämonen. All diese Persönlichkeiten treffen nun auf Bertolt Brecht, den „Hausgott“ des Berliner Ensembles, dem er im Jahre 1928 mit der „Dreigroschenoper“ großen Erfolg bescherte. In Wächters Stück wird Brecht von den Gespenstern heimgesucht, die er in seinem Exil und nach seiner Rückkehr nach Berlin getroffen hat. Zusammen mit zwei Musikern entsteht eine Séance, in der die kleinen Wesen mit der großen Aura ihr Spiel spielen. Ödipus – wer kennt sie nicht, die Tragödie von Sophokles? Der Mörder von Laios, König von Theben, wird gesucht. Denn nur so kann die Stadt von der Seuche befreit werden, so hat es das Orakel von Delphi prophezeit. Ödipus setzt als neuer König alles daran, den Mörder zu finden, bis sich herausstellt, dass er selbst der Gesuchte ist: ohne es zu wissen, hat er Theben in den Abgrund gestürzt. Regisseur Felix Krakau hat den griechischen Bühnenstoff bearbeitet und sich dabei die Freiheit genommen, die Geschichte vollkommen neu zu erzählen, und zwar mittels einer direkten und humorvollen Ansprache an das Publikum (10.10. Kulturhaus Schlanders, 11.10. Forum Brixen). Mit anderen Augen, dahinter verbirgt sich ein musikalischer Abend, an dem Texte von blinden und sehbehinderten Menschen in Kombination mit Live-Songs die Gedanken, Gefühle und die Wahrnehmung des Publikums auf das Gehör lenken (18.10. Waltherhaus Bozen, 19.10. Stadttheater Meran, Regie: Selen Kara). Eine Theatercollage aus Texten, Bildern und Sinneseindrücken, die uns auf poetische Weise eintauchen lässt in die Welt der Blindheit. Können wir mit den Ohren sehen?
Der Tod in Venedig von Thomas Mann steht den ganzen Oktober über auf dem Spielplan der VBB, die für die Umsetzung des weltbekannten Sujets auf ein starkes Team setzen: Opern- und Theaterregisseur Alexander Charim und Komponist Michael Rauter, der die Musik eigens neu komponiert hat. Auch spielt die berühmte Verfilmung von Luchino Visconti von 1971 mit hinein, dank der die Kompositionen von Gustav Mahler ikonisch mit Manns Novelle verknüpft wurden. Multidisziplinäres Musiktheater, eine Neuinterpretation bekannter Themen. Ein Stück über die Sommerfrische im Lido, eine Epidemie und ein verheerendes Verlangen nach Schönheit und Vergänglichkeit.
In der Carambolage sehen Sie Die Laborantin von Ella Road, Regie führt Helga Maria Walcher (ab 06.10.). Bea ist Laborantin in einer großen Klinik. Sie untersucht Blutproben auf Gendefekte, Erbkrankheiten und die Wahrscheinlichkeit, psychisch oder körperlich zu erkranken. Aus den komplizierten Ergebnissen wird für jeden Menschen ein Gesamtwert zwischen 0 bis 10 errechnet. Es ist eine Art Notensystem für den „Nutzen“ eines Individuums innerhalb der Gesellschaft. Was zunächst als Fortschritt für die Gesundheitsvorsorge gedacht ist, wirkt sich schnell auf alle Lebensbereiche aus, zum Beispiel bei der Arbeitssuche, bei Kreditanfragen, in der Liebe oder bei der Familienplanung. Mit einem schlechten Rating hat man keine Perspektive mehr. Aber Bea und ihrem Freund stehen alle Türen offen, denn ihre Testergebnisse sind überdurchschnittlich. Anders ergeht es einer Freundin, deren Rating knapp über Null liegt. Da hat Bea eine zündende Idee, schließlich sitzt sie an der Quelle. Und wer weiß, wie viel sie sich mit gefälschten Tests dazuverdienen kann… Das Stück ist eine bemerkenswerte Mischung aus Liebesgeschichte und gesellschaftskritischem Krimi. Nicht umsonst gehört es im deutschsprachigen Raum zu den meistgespielten Theatertexten unserer Zeit. Halloween ist hingegen das Thema beim Improtheater am 31. Oktober. Bühnenfrisches Grauen, das direkt aus vollen Kürbissen gelöffelt wird. Werfen Sie die Schokoladenseite aus dem Fenster und die dunklen Gedanken auf die Bühne. Es wird gruselig, aber das ist keine Neuheit. Und Achtung: immer süß lächeln, sonst gibt es Saures!
Das Stadttheater Bruneck zeigt Shockheaded Peter, eine Junk-Oper nach Motiven aus „Der Struwwelpeter“ (ab 14.10., Regie: Torsten Schilling). „Eine Trash-Therapie für genervte Eltern und widerspenstige Kids“, so nannte „Der Stern“ 1999 die schräge Struwwelpeter-Version der englischen Kult-Undergroundband The Tiger Lillies. Sie packten die schaurigen Moritaten aus den Erzählungen in ihre Songs und erschufen so ein varietéartiges Panoptikum des Abstrusen. Als eine Sammlung „lustiger Geschichten“ kam es 1845 auf den Markt, heute gilt das Buch von Kinderarzt Heinrich Hoffmann als ein Paradebeispiel schwarzer Pädagogik. Dem setzt „Shockheaded Peter“ noch eins drauf, auf anarchische, britische, punkige Art und Weise.
Das Gegenteil von anarchisch ist…? Genau: Marschieren in Reih und Glied. Das führt uns nach Brixen in die Dekadenz, wo ab 13. Oktober Über die Naia zu sehen ist. Regie führt Joachim Gottfried Goller. Das Stück basiert auf vielfältigen und weitreichenden Recherchen zum Thema Militär. Was wir darüber wissen setzt sich mehrheitlich zusammen aus Erzählungen einer älteren männlichen Generation der Väter und Großväter, als der Militärdienst noch Pflicht war: Zuerst kam die leva und dann der servizio militare. 2005 hat der italienische Staat die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft, doch seit Russland im Februar 2022 in die Ukraine eingefallen ist, scheint die Debatte um eine Wiedereinführung neu entfacht – in Italien, aber auch in anderen europäischen Ländern. Aber was heißt es eigentlich, „zum Militär zu gehen“? Wie können wir uns den Alltag in einer Kaserne vorstellen? Welche Werte, Einstellungen und auch Zwänge verstecken sich hinter der „Naia“? Welche Bedeutung haben Männlichkeitsideale, Körperbilder und Gewalt? Es ist der Versuch einer aktuellen Auseinandersetzung mit einem heiklen Thema, ernsthaft und humorvoll, dynamisch und gegenwärtig.
[Adina Guarnieri]