„Ein Künstler muss Fragen stellen“
Der Trudner Robert Bosisio im Gespräch: Kunst, Kulturstädte und Kraftorte
Ein Künstler könne seine Kunstwerke nicht erklären, sagt Robert Bosisio. Er stelle Fragen, er gebe keine Antworten. Das Gehirn des Betrachters müsse angeregt werden, müsse seine eigenen Assoziationen mit dem Kunstwerk finden, es gleichsam selber fertig denken.
Bosisios Bilder sind Andeutungen. Ein Mund, ein Gesicht, schemenhaft, nicht vollständig abgebildet. Er spielt mit den Farben und mit ihrer Leuchtkraft. „Das ist meine Absicht“, erklärt er. „Wenn etwas nicht vollständig abgebildet ist, kann jeder Betrachter etwas anderes darin sehen. Er kann etwas anderes dabei fühlen. Je näher er herangeht, desto weniger ist zu erkennen, was abgebildet ist. Das Bild entzieht sich ihm. Erst wenn man sich vom Kunstwerk entfernt, kommt es von selber zu einem.“
Wichtig sind Bosisio auch die Farben. „Jeder hat eine besondere Assoziation zu Farben, die aus seiner persönlichen Erfahrung mit ihnen rührt. Die selbe Farbe kann für jeden etwas anderes bedeuten, er kann etwas anderes dabei fühlen.“ Eine besondere Farbe ist für Bosisio ein bestimmtes Rot, das ihn seit seiner Kindheit in Truden nicht mehr loslässt. Das Rot gehörte zu der ersten Rodel, die er zu Weihnachten geschenkt bekam. „Da war ich drei oder vier Jahre alt“, sagt er.
Kraftort Truden
Überhaupt Truden. Das kleine Bergdorf im Südtiroler Unterland ist für Bosisio Herkunftsort und Kraftort zugleich. 1963 dort geboren, begab er sich nach seiner Ausbildung in Gebrauchsgrafik und Siebdruck an der Grafikschule in Bozen sogleich ins Ausland. „Ich dachte, ich sei ein Stadtmensch“, sagt er, „ich dachte, ich müsste unbedingt fort.“ Er besuchte die Hochschule für Angewandte Kunst in Wien, lebte mehrere Jahre in Berlin, hielt sich einige Zeit lang in New York auf. „Aber eigentlich“, sagt er nachdenklich: „Einmal Truden, immer Truden. Das lässt sich gar nicht so genau erklären.“ In Truden betreibt Bosisio sein Künstleratelier, die meisten seiner Werke entstehen dort.
Rückzugsort Pera-Schupf
Auf einem Höhenrücken östlich von Truden, Richtung Altrei, auf einer großen, lichten, von Lärchen umringten Wiese mit einem Teich, steht ein kleines Haus, im Ortsdialekt eine „Schupf“. Sie gehörte Bosisios Vater, heute ist es Roberts Rückzugsort. „Ich bin jeden Tag dort“, lächelt Bosisio. „Dort regeneriere ich, betätige mich handwerklich.“ Er, der als Kind schon seinem Vater dabei half, Tiere auszustopfen, hat dort zwei Iglus aus Holz gebaut, beschäftigt sich mit Land Art und werkelt im Garten. Einige Wanderwege führen daran vorbei. „Die Leute kommen bis ans Haus heran und möchten sich gern mit mir unterhalten. Ich suche aber eigentlich nichts als Ruhe dort. Manchmal ist das schwierig zu vermitteln.“
Berlin und Cluj Napoca
Nach wie vor zieht es Robert Bosisio aber auch ins Ausland. In Berlin studiert sein Sohn Johannes, ebenfalls Künstler. Seine Lebensgefährtin, eine Kunsthistorikerin, und Freunde wie die Familie Wenders leben dort. „Berlin ist im Zentrum von Europa“, sagt Bosisio. „Es ist wie viele Städte in einer Stadt. Sie entwickelt und formiert sich dauernd neu. Außerdem ist sie eine der günstigsten Großstädte in Europa. Das zieht viele Studenten und Künstler an.“ In Berlin hat Bosisio ebenso ein Atelier, dort entstehen meistens Studien. Hauptsächlich holt er sich Inspirationen. Besucht Ausstellungen, saugt alle Eindrücke in sich auf. „Nach ein, zwei Wochen bin ich davon erschöpft. Dann fahre ich nach Truden, zur Pera-Schupf, verarbeite, kaue gleichsam wieder. Und aus diesen Inputs versuche ich dann, etwas Neues, Eigens zu schaffen.“
Cluj Napoca liegt in Siebenbürgen in Rumänien. Auch dort hatte Robert Bosisio ein Atelier. „Künstler folgen Hotspots“, erläutert er, „in Cluj gab es eine Zeitlang eine sehr gute Akademie mit unglaublich guten Studenten. Ich war dort Mentor, versuchte die Studenten zu fördern und sie mithilfe meiner Kontakte in der Welt zu etablieren. In Rumänien gibt es keinerlei Nährboden für Künstler, wenn sie aus der Akademie kommen, weder politisch noch in der Bevölkerung.“ Seine Studenten sind mittlerweile überall in der Welt erfolgreich unterwegs, der Hotspot ist weitergewandert. Sein Atelier in Cluj hat Bosisio aufgelassen. Sein persönlicher Hotspot liegt woanders.
[Sibylle Finatzer]
ROBERT BOSISIO
1963 in Truden geboren, 1979-82 Grafikschule in Bozen, 1983-88 Studium in Wien, 1989-94 Aufenthalt in Berlin, 1992 und 2006 Aufenthalt in New York, ab 2008 Aufenthalt in Cluj Napoca
Zahlreiche Förderungs-, Anerkennungspreise und Studien
Ausstellungen in Italien, Österreich, Deutschland, Belgien, Niederlande, Schweiz, Rumänien, USA, Japan
Ausstellungen 2021:
- Jänner, Zürich
- April, Tokio
- Sommer, Cluj Napoca
- Sommer, mit Walter Moroder