Die besondere Ästhetik des Defekts
Ausstellung „Schöne Scherben – Die Kunst der Reparatur“ im Lanserhaus Eppan
Der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist heute in aller Munde. Die westliche Welt will sich umorientieren, von einer Wegwerfgesellschaft zu einer Gesellschaft, die zunehmend darum bemüht ist, den Gegenständen, ob gebraucht oder kaputt, ein zweites Leben zu geben. In gewissem Sinne also das, was unsere Vorväter schon getan haben. Doch abseits der, nennen wir es, profanen Absicht, die Dinge einfach wieder gebrauchsfähig zu machen, hat die Reparatur in der Kunst einen ganz eigenen Stellenwert.
„Kintsugi“ zum Beispiel bezeichnet in Japan eine spezielle Reparaturtechnik, bei der es darum geht, die Reparatur so kunstvoll wie möglich auszuführen und dementsprechend sichtbar zu machen. Also nicht – so wie wir es kennen – etwas wieder gebrauchsfähig zu machen, so dass man möglichst nicht sieht, dass es repariert worden ist. Vielmehr wird der Eingriff deutlich gezeigt, der Schaden regelrecht ausgestellt, etwa mit Hilfe wertvoller Materialien wie Silber oder Gold. So ist es der Schaden, der den Wert der Sache verändert und ihn erst richtig zum Vorschein bringt.
„Kintsugi“ ist der Aufhänger der Ausstellung „Schöne Scherben – La bellezza dei cocci rotti“ im Lanserhaus in St. Michael/Eppan. Unter anderem werden Exponate des japanischen Meisters Kozan Makuzu (1843–1926) gezeigt, der keramische Teeschalen mit Silberlack repariert hat. Gerade diese Reparaturen ziehen die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich und machen die Schale um ein Vielfaches interessanter als ein beliebiges, unversehrtes Stück.
Gebrauchsgegenstand oder Kunst?
Erst auf den zweiten Blick offenbart sich dem Ausstellungsbesucher das „Künstlerische“ an zwei unterschiedlich großen Mokkamaschinen, die Siegfried Riegler ausstellt: Was, bitteschön, ist hieran kaputt und was ist schön daran? Die kleinere hat einen Handgriff und einen Deckelknopf aus Holz, also eindeutig repariert, und zwar kunstvoll. Zudem sind diese beiden Objekte nicht nur Kunst, sondern auch eindeutig noch verwendbar, wie Riegler pragmatisch feststellt.
Bezug zum Überetsch
Den lokalen Bezug stellt Kurator Hans-Jürgen Hafner mit digitalisierten Super-8-Filmschnipseln von Willi Kerschbaumer her. Während des Ausstellungsaufbaus fiel spontan die Entscheidung, dieses Zufallsfundstück in die Ausstellung mit einzubauen. Die Filmschnipsel zeigen verschiedene Ereignisse aus der Zeit um 1971: Familienfeste, Urlaubsimpressionen, Ausflüge, Obsternte. Und mittendrin: ein Filmschnipsel, der die Bergung des Einbaums aus dem Großen Montiggler See zeigt, der heute das Herzstück der archäologischen Dauerausstellung im Eppaner Lanserhaus bildet. Dieses zeit- und lokalhistorisch wichtige Dokument ist, wenn man so will, eine weitere „schöne Scherbe“, die ins Mosaik der Ausstellung passt.
Der Mensch und die Welt in Scherben
Die Südtiroler Künstler Walter Niedermayr, Markus Drassl und Michael Meraner (MDMM) beschäftigen sich mit der Erde und ihrem durch den Menschen veränderten und unumkehrbaren Zustand. Etwa durch die Fotografien von Niedermayr, die zeigen, wie der Massentourismus gleichsam zu einer neuen Natur und einem neuen Ökosystem geworden ist, die unsere schöne Bergwelt in Scherben zurücklässt. Ähnlich sehen es Drassl und Meraner, für die die Welt eine durch den menschlichen Einfluss kartographierte Realität ist: Sie zeigen dies durch Metallplatten, die sie vor Ort den herrschenden Umwelteinflüssen aussetzen und diesen Prozess in eine bildnerische Form bringen. Zahllose, feine Linien erinnern an die Höhenprofile auf Landkarten und zwingen den Betrachter, die durch den Menschen verursachte Veränderung unserer Landschaft neu zu überdenken: Liegt alles in Scherben?
Die Ausstellung stiftet Bezüge zwischen unterschiedlichen Dingen und macht auf Formen der Wiederverwertung aufmerksam: Werke der Kunst und Dinge aus der Alltags- und Handwerkskultur verweisen auf das Spannungsfeld, in dem Schaden und Wert zueinander stehen, und das unseren Umgang mit Sachen und Systemen prägt.
[Sibylle Finatzer]
Ausstellung „Schöne Scherben - La bellezza dei cocci rotti. Die Kunst der Reparatur - L’arte della riparazione”
Eine Ausstellung der Gemeinde Eppan
St. Michael/Eppan, Lanserhaus
Kurator: Hans-Jürgen Hafner
Objekte und Installationen von: Barbara Bloom, Revital Cohen & Tuur van Balen, Anna Franceschini, Paul Kindersley, Milan Knížák, Hubert Kostner, Claudia Kugler, MDMM, Kozan Makuzu, Walter Niedermayr, Siegfried Riegler, Alessandra Speranzi, By Walid, Jens Wolf.
Dauer und Öffnungszeiten: bis 15. November, Dienstag bis Freitag jeweils von 15 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag jeweils von 10 bis 12 Uhr und von 15 bis 18 Uhr. Eintritt frei.
Kontakt: Lanserhaus St. Michael, 0471 667566,