Shakespeares Bär und mein Freund Aurelio
Das deutsche Theater im November: Von Klassik bis Kleinkunst
Die Tage werden kürzer und die Theaterabende umso länger. Die vorwinterliche Dunkelheit macht Lust auf Drama, Intrigen und mehr...
Shakespeare also. Zumindest denkt man das im Theater in der Altstadt Meran, wo Richard III. zum Besten gegeben wird (ab 10.11.). Regisseur Torsten Schilling erzählt die Geschichte des Herzogs von Gloucester, der beschließt, ein Bösewicht zu werden. Von Geburt an hässlich und missgestaltet, ist er zu allem bereit, um den Thron für sich zu gewinnen. Wie viel Verständnis kann das Publikum für seine Entscheidungen aufbringen und was genau macht einen Menschen eigentlich zum Monster? Die Bühne wird zum Schlachtfeld der Gefühle, zum Austragungsort von Machtkämpfen. Das Wettrennen um Englands Krone nimmt hier seinen Lauf.
Von einem Klassiker der Weltliteratur kommen wir nun zu einer Säule der Südtiroler Theaterwelt: Peter Mitterrutzner, zu sehen im Stadttheater Bruneck in der Uraufführung von Mein Freund Aurelio von Barbara Plagg (ab 7.11., Regie: Ulrike Lasta). Aus Angst vor der italienischen Polizei flieht Hans von Südtirol nach München, weil sein Freund Bernhard, Mitglied beim Befreiungsschuss Südtirols, verhaftet worden ist. Davon hat Hans nichts gewusst. In München trifft er auf den Italiener Aurelio, der sein bester Freund wird. Doch Aurelio kehrt bald nach Italien zurück und verschwindet spurlos. Erst viele Jahre später stößt Hans in politischen Dokumenten auf Aurelios dunkles Geheimnis. Ein Stück Südtiroler Geschichte, beruhend auf wahren Begebenheiten.
Und nun zu den Vereinigten Bühnen Bozen, die in Zusammenarbeit mit dem Verein ASAA (Alzheimer Südtirol Alto Adige) Im Treibsand – Loslassen von Edith Moroder präsentieren (ab 13.11., Regie: Christian Mair). Eine Mutter und eine Tochter. Zwei Menschen, die miteinander verbunden sind. Moroder hat ihre an Alzheimer erkrankte Mutter jahrelang gepflegt und diese Erfahrung in einem Buch niedergeschrieben. Die Bühnenfassung von Brigitte Knapp zeigt einen Menschen, der sich im Treibsand seiner Gedanken verliert. Die Wahrnehmungswelten von Mutter und Tochter driften auseinander, eingespielte Rollen geraten ins Wanken. Den Kleinsten unter den Theaterfreunden ist hingegen das Stück Ötzi und das Eis oben von Anah Filou gewidmet (ab 14.11.), Regie führt Joachim Gottfried Goller. Aus der Sicht einer Katze wird die Entdeckung der Gletschermumie Ötzi erzählt. Sie war gerade im Schoß ihrer Freundin, der Schauspielerin, eingeschlafen und hatte von Schokokuchen mit viel Eis geträumt. Sie sitzt gern mit den Kindern im Theater und bewundert, wie im Licht der Scheinwerfer wundersame Geschichten über die Menschen erzählt werden. Anah Filou spannt den Bogen von der Kupferzeit ins Heute und blickt mit Kinderaugen auf unsere sich verändernde Natur und Lebenswelt.
Im Carambolage Bozen findet Anfang des Monats der 19. Europäische Kleinkunstwettbewerb Niederstätter surPrize statt, ein Pflichttermin für alle Theaterfreundinnen und –freunde (4.-6.11.). Dieses Jahr gehen nur drei Teilnehmer/Innen ins Rennen, diese treten allerdings an allen drei Abenden auf. Kein Gedränge auf den billigen Plätzen, jeder kommt in den Genuss der Vorstellung! In der Monatsmitte bietet Ingrid Maria Lechner mit ihrem Kabarettprogramm Willkommen eine Vorführung mit Leidenschaft (13.-14.11, Regie: Gabi Rothmüller). Als Befindlichkeitsexpertin geht sie unerschrocken durch jede Firewall und surft nebenbei auf der leichten Welle der unerklärlichen Algorithmen. Eben eine Frau wie du und ich. Eine, die alles und alle erledigt.
“Jetzt hätten die guten Tage kommen können”, na Herr Stefan Waghubinger, warum so pessimistisch? Hängt es vielleicht damit zusammen, dass Sie auf dem Dachboden Ihrer Eltern eine Schachtel gefunden haben, das Sammelsurium Ihrer untergegangenen Träume? Tieftraurig und zum Brüllen komisch, Waghubinger im Carambolage, am 20. und 21. November. Und ganz zum Schluss erwartet Sie Gunkl, der Philosoph unter den Lustigen. Mit So und anders - eine abendfüllende Abschweifung (28.-29.11.) taucht man ein in eine Gedankenwelt, in der alles erlaubt ist, was Gunkl nicht verboten hat. Hochgeschätzt von Publikum und Kritik, wendet er sich großen und kleinen entscheidenden Fragen zu.
In der Dekadenz Brixen steppt der Bär, denn am 13. und 14.11. gehen hier Der Bär und Der Heiratsantrag von Anton Tschechow über die Bühne, wahre Theater-Dauerbrenner. Der Autor bezeichnete die Stücke als „Zwei Scherze in einem Akt“. Die junge Wiener Gruppe Club 3 gibt den Klassikern eine frische Wendung, indem sie dem Spiel der Geschlechter einen neuen Twist gibt. Mit vollem Körpereinsatz treten sie in den Theaterring und spielen um Liebe, Status und Wahrheit, als ginge es um ihr Leben (Regie: Lisa-Lena Tritscher). Und November ist ja schon fast Heiligabend, zumindest wenn es nach Kay Ray geht. Mit seinem Weihnachten ... oder wonach sieht‘s denn aus?!? (28.-29.11.) macht er richtig Lust auf Lametta und Lebkuchen, oder etwa nicht? Das Fest der Liebe wird von ihm beinhart seziert: Weihnachtsmarkt, volle Suppenküchen, einsame alte Menschen und erfrorene Obdachlose? Weihnachtszeit! Kaum ein Kabarettist polarisiert so wie Kay Ray.
Das Südtiroler Kulturinstitut gibt im November Gas, denn gleich vier Vorführungen finden über das ganze Land verteilt statt: nach Mephisto des Staatstheaters Kassel in Bozen sowie Meran (4. und 5.11.) und Zeit-Kolumnen und Zeitlieder mit Harald Martenstein und Georg Clementi in Schlanders und Bruneck (10. und 11.11.), erreicht Don Quijote am 18. und 19. November mit seiner Rosinante die Bühne des Bozner Waltherhauses (Regie: Jan Bosse). Nach der Lektüre unzähliger Ritterromane ernennt sich ein armer Junker selbst zu Don Quijote und überträgt sich die ehrenvolle Aufgabe, die Menschheit gegen das Böse zu verteidigen. Im nur scheinbar naiven Sancho Panza findet er einen treuen Knappen und begibt sich mit ihm auf Reisen, um ein einfaches Bauernmädchen zu beeindrucken. Doch jede Heldentat gerät zur Niederlage. Allein die Vorstellungskraft bleibt unbesiegt.
Den dramatischen Ausklang bildet Die Wiedervereinigung der beiden Koreas von Joël Pommerat (26.11. Stadttheater Meran, 27.11. Forum Brixen). Regisseur Jochen Schölch erzählt mit dem Metropoltheater München in zwanzig aufeinanderfolgenden Szenen den Kampf von 27 Frauen und 24 Männern um ihre Liebe. Hochzeiten geraten ins Wanken, Prostituierte werden enttäuscht, geschenkte Seelen zurückverlangt. Das Stück erforscht die unerklärliche Kraft der Liebe in all ihren Facetten.
[Adina Guarnieri]