Auf los geht‘s los: Neustart im Oktober
Lange waren Südtirols Bühnen verwaist. Aber die neue Saison verspricht nur Gutes
Frech wie eh und je öffnet das Carambolage Bozen erneut seine Tore. Den Auftakt bildet „Drosseln (Swallow)“ von Stef Smith, das 2015 beim Fringe Festival in Edinburgh als bestes Stück ausgezeichnet wurde (ab 1.10.). Regie führt Joachim Gottfried Goller. Es geht um drei Leben, die von Isolation und einem tiefen Wunsch nach Veränderung geprägt sind. Rebecca leidet an einem gebrochenen Herzen, Sam fühlt sich im falschen Körper gefangen und Anna lebt seit Monaten vollkommen zurückgezogen in ihrer Wohnung, ohne Essen und inmitten zerschmetterter Möbel. Auf radikale Art und Weise offenbart Smith die Widersprüche der modernen Gesellschaft zwischen Selbstoptimierung und Selbstzerstörung.
Am 28. und 29. Oktober wird’s hingegen Dada, denn Alf Poier präsentiert in Bozen sein neues Programm „Humor im Hemd“. Darin stellt er sich und dem Publikum mehrere existenzielle Fragen: Spinn‘ ich, oder spinnt die Welt? Wohin soll man flüchten? In die geistige Euthanasie, oder doch lieber in die Karibik? Und wer nach dem Spektakel noch nicht genug haben sollte, der kann sich am 31. Oktober die Halloween-Ausgabe des allseits beliebten (und gefürchteten) Improtheaters zu Gemüte führen. Das dunkle Kellergewölbe lässt grüßen…Wuahahaha!
Das Theater in der Altstadt Meran feiert am 6. Oktober die Prämiere von „7 Minuten Betriebsrat“, aus der Feder von Stefano Massini (Regie: Hans Kieseier). Sie bangen um ihre Zukunft: Die Frauen des Betriebsrats einer französischen Textilfabrik warten auf ihre Sprecherin, die seit vier Stunden mit der neuen Führung im Verhandlungsraum sitzt. Werden sie ihre Arbeit behalten? Ja, niemand wird entlassen, nur die Pause wird gekürzt. Und genau diese 7 Minuten werden zu einer tickenden Zeitbombe, die dem Profitdenken der Konzerne die Pistole auf die Brust setzt.
Im Waltherhaus in Bozen gastiert das Puppentheater Halle mit „Ein Spiel für Ragna Schirmer & Puppen“, welches Clara Schumann gewidmet ist (6.-7.10.). Schumann war Wunderkind, Starpianistin, Komponistin, Konzertmanagerin, Künstlergattin, achtfache Mutter und hatte ein prall gefülltes Leben voller Triumphe, Tragödien und Tratsch. In einer Mischung aus Puppenspiel und Live-Musik werden Stationen aus ihrer Biographie erlebbar. Am Klavier spielt die preisgekrönte Pianistin Ragna Schirmer, Regie führt Christoph Werner.
Ebenfalls im Waltherhaus, aber auch im Stadttheater Meran, erlebt das Publikum das Landestheater Linz mit „Ritter, Dene, Voss“ von Thomas Berhard (21.-22.10.). Regisseur Stephan Suschke erweckt darin die Narrenfreiheit der Philosophen zum Leben, indem er drei Erben des Großindustriellen Worringer die alltäglichen Katastrophen einer ebenso reichen wie sonderlichen Familie durchlaufen lässt. Thomas Bernhard griff in seinem Stück die Familiensituation Ludwig Wittgensteins auf und verband sie mit der Geschichte von dessen Neffen Paul, der mehrmals in psychiatrischer Behandlung war und dem sich Bernhard auch in der Erzählung „Wittgensteins Neffe“ zuwandte.
Wehe, wenn sie losgelassen! – so lautet der Aufruf in Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels“ (27.10. Kulturhaus Schlanders, 28.10. Forum Brixen). Zwei vollkommen unterschiedliche Paare treffen aufeinander, da ihre Kinder dieselbe Schule besuchen. Ihre Söhne haben sich geprügelt und nun wollen die Eltern eine friedliche Einigung finden. Was als Leistungsschau toleranter Großstädter beginnt, entwickelt sich aber zur Zimmerschlacht. Es geht hoch her, und inmitten weißer Tulpen und geschmackvoller Bildbände bleiben von den Prinzipien des abendländischen Verhaltenskodex nur noch Trümmer. Ein Gastspiel des Schauspiels Leipzig, Regie führt Enrico Lübbe.
Die Vereinigten Bühnen Bozen präsentieren im Herbst einen Klassiker der neueren Weltliteratur: „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch, Regie führt Mona Kraushaar (ab 17.10.). Uraufgeführt 1958, nimmt Frisch darin mit starker politischer Sprengkraft das brave, gehorsame Bürgertum ins Visier und zeigt auf, wie schnell vermeintliche Gutmenschen in das Netz gefährlicher Ideologien geraten. Der wohlhabende Fabrikant Gottlieb Biedermann verdächtigt seinen Untermieter und dessen Kumpel der Brandstiftung, allzu eindeutig sind die Benzinfässer, die diese auf seinem Dachboden horten. Aber was soll er machen? Sich wehren? Alarm schlagen? Womöglich fackeln die beiden dann erst recht sein Haus ab. Den Wolf im Schafspelz will er nicht erkennen und bietet den beiden Brandstiftern die Freundschaft an – Freundschaft, eine Flasche Wein und am Ende auch die Streichhölzer.
Obwohl der Platz für die Zuschauer aus Sicherheitsgründen nicht reicht, zieht die Dekadenz Brixen den Kopf nicht ein. Die Aufführungen finden einfach woanders statt, und zwar im Kulturzentrum Astra. Hier ist noch bis 14. Oktober die Eigenproduktion „Am Rand (Ein Protokoll)“ von Philipp Löhle zu sehen (Regie: Torsten Schilling). Darin geht es um einen kleinen Ort an der Grenze und einen neuen Dorfpolizisten. Dieser kommt mit der ländlichen Vertrauensseligkeit nicht zurecht, denn niemand schließt hier sein Fahrrad ab, Bohrer werden ohne Gegenleistung verliehen, Pakete vor die Tür gelegt. Er macht es sich zur Aufgabe, die Bevölkerung auf alle erdenklichen Gefahren aufmerksam zu machen, die jenseits der Grenze lauern. Das fiktive Dorf Randhausen wird so zum Brennglas Europas und der Welt.
Haben Sie sich schon einmal gefragt: Warum bin i eigentlich so deppert? Nein? Dann sollten Sie vielleicht Thomas Maurers neues Kabarettsolo „Woswasi“ besuchen (23.-24.10.). „Der mutmaßlich lustigste Mann Österreichs“, wie ihn der Falter einmal betitelt hat, setzt sich auseinander mit Denkmustern, Denkmodellen, Denklücken und breitet mit gewohnt spitzer Zunge eine Palette von menschlichen Unzulänglichkeiten aus. Dabei kommt er vom Hundertsten ins Tausendste und zerlegt jegliche Befindlichkeit in ihre Elementarteilchen. Sehenswert!
[Adina Guarnieri]