Schnittstellen der Geschichte
Sissa Micheli im Lumen, dem Museum der Bergfotografie
Am Kronplatz zeigt die in Wien lebende Künstlerin die Ausstellung „Mountain Pieces. Reflecting History“. Fotoarbeiten und Videos beleuchten darin ein oft vergessenes Kapitel der Berggeschichte.
Die Ausstellung hat eine lange Vorgeschichte, sei es planerisch, als auch historisch. Schon 2018 hegte Sissa Micheli den Wunsch, das Anniversar von 1918 als Ausgangspunkt für eine Schau zu nutzen. Als das Lumen sie einlud, legte dies den Grundstein für jene Arbeiten, die aktuell auf 2.275 Höhenmetern zu sehen sind. Dafür hat die Künstlerin im Hochpustertal nach ehemaligen Kriegsschauplätzen gesucht, um diese in ein neues Licht zu rücken.
Krieg aber auch Frieden
Neben 1918 geht ein anderes Datum oft unter, welches aber bei Sissa Micheli Beachtung findet: „1919 war das Jahr der Pariser Friedensverträge und somit dachte ich, das Thema des Dolomitenkrieges mit diesem Datum und meinen Friedensperformances in Verbindung zu bringen“. In diesen Performances kommen oft Flaggen vor, die von der Künstlerin an historischen Kriegsschauplätzen in die Höhe gehalten werden. Hochauflösende Fotos, gedruckt auf spiegelndem Plexiglas, dokumentieren diese Aktionen für die Ausstellung. Auffällig ist, dass Sissa Micheli dabei keine traditionellen Fahnen verwendet: „Seit dem 18. Jahrhundert war Nationalismus der häufigste Grund für Kriege. Deshalb ersetzte ich das Symbol des Nationalismus, die Flagge, mit einer Rettungsdecke, die zum Schutz der Menschheit und nicht zu deren Vernichtung eingesetzt wird“.
Spiegel der Geschichte
Es ist aber nicht nur der Symbolgehalt der Rettungsdecke, der Sissa Micheli interessiert. Es geht auch um die ästhetische Wirkung des Materials, welches das Licht und die umgebende Landschaft reflektiert. In vielen ihrer Fotoarbeiten kommen Spiegel vor, die sie entweder direkt im Gebirge platziert oder in Form glänzender Stoffe als Eyecatcher im Bild auftreten lässt. Für die Künstlerin ergibt sich dabei eine doppelte Bedeutung: „Reflektieren heißt ja auch über etwas nachdenken und es handelt sich somit um ein Wortspiel, denn ich möchte, dass der Betrachter auf sich selbst zurückgeworfen wird und beginnt, über sich und das Geschehene nachzudenken“.
Berge zwischen Unheil und Ästhetik
Sissa Michelis Arbeiten zeigen eine atemberaubende Berglandschaft und es scheint fast unmöglich, dass hier vor knapp 100 Jahren ein erbitterter Kampf geführt wurde. Michelis Werke bewegen sich an der Schnittstelle zwischen zwei Realitäten. Besonders offensichtlich wird dies in der Videoarbeit „Out of Silence“, die in Zusammenarbeit mit dem Künstler Thomas Riess entstanden ist. Darin steht er als schwarz gekleideter Trommler mitten im Gebirgsmassiv des Paternkofls, imposant durch spektakuläre Flugaufnahmen in Szene gesetzt. Er selbst meint dazu: „Wir wollten die Vergangenheit im Video thematisieren, ohne die Schönheit des Bergmassivs zu schmälern. Deshalb haben wir beschlossen, zwischen Akustik und Optik zu differenzieren, sprich, den visuellen Effekt der gegenwärtigen Landschaft zu erhalten, doch anstelle der Trommelschläge ist Gefechtslärm zu hören. So werden die Betrachter akustisch in die Zeit des Ersten Weltkrieges zurückversetzt.
Ein Mahnmal gegen den Krieg
Die Ausstellung möchte vor Augen halten, dass Frieden nicht selbstverständlich ist. Und so sollten wir beim Wandern in den Dolomiten kurz innehalten und verstehen, wo wir uns befinden und was vor gerade mal einem Jahrhundert hier passiert ist. Für uns heute unvorstellbar, aber dennoch real, wie Sissa Micheli betont: „Frieden ist ein Luxus, aber damit das so bleibt, müssen wir uns dessen bewusst sein und aktiv etwas dafür tun“.
[Adina Guarnieri]
Sissa Micheli (*1975 Bruneck), Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien. 2016 wurde sie vom HGV und vom Südtiroler Künstlerbund erstmals zur Künstlerin des Jahres gewählt.
Thomas Riess (*1970 in Tirol), Studium an der Universität Mozarteum Salzburg, Klasse für Graphik und visuelle Medien. Er lebt und arbeitet in Wien.
Was: Ausstellung „Mountain Pieces. Reflecting History“
Wo: Lumen - Museum der Bergfotografie, Kronplatz
Wann: 19.07 – 11.10.2020
Info: www.lumenmuseum.it