Facetten einer Oper
Die Komponistin Manuela Kerer im Gespräch über „Toteis“
Die Stiftung Haydn präsentiert „Toteis“, eine Oper über die umstrittene Figur der Viktoria Savs. Diese hatte gemeinsam mit ihrem Vater im Ersten Weltkrieg an der Dolomitenfront gekämpft und dabei ihr Bein verloren. Für ihren Einsatz wurde sie gefeiert, im Nationalsozialismus gelangte sie als „Tiroler Heldenmädel“ zu fragwürdigem Ruhm. Manuela Kerer über die verschiedenen Facetten der Viktoria Savs.
Stichwort Oper: wie gestaltet Manuela Kerer das Aufeinandertreffen zwischen diesem traditionsreichen Genre und zeitgenössischen Klängen?
Ich habe viel im Bereich des experimentellen Musiktheaters gearbeitet, wo man sehr frei und offen mit dem Raum und der Besetzung umgehen kann. Bei „Toteis“ wollte ich deshalb etwas eher Traditionelles gestalten, wobei es sich trotzdem noch um eine zeitgenössische Oper handelt, da meine Musiksprache zeitgenössisch ist. Es sind aber traditionelle Elemente enthalten wie, z.B., eine Ouvertüre, Zwischenspiele und Arien, die zum Haus und zum Thema passen.
Mit welcher Einstellung sind Sie an dieses doch eher schwerwiegende Thema herangetreten?
Der zentrale Punkt ist jener, dass sich das Publikum zu keinem Zeitpunkt mit der Hauptfigur identifizieren kann und will. Normalerweise ist das Gegenteil der Fall. Der Stoff ist problematisch, aber wir sind alle überzeugt davon, dass dieses Thema den Nerv der Zeit trifft. Zeitgenössische Kunst und Musik haben die Aufgabe, etwas auf die Bühne zu bringen, mit dem sich die Menschen befassen sollten – wie auch immer das dann aufgenommen wird.
Sie haben die Musik komponiert, der Text stammt von Martin Plattner. Wie finden zwei Kreative den richtigen Mittelweg?
Martin und ich haben sehr eng zusammengearbeitet und uns war ganz wichtig, dass die Musik die gleiche Rolle spielt wie der Text. Ich glaube, dass dies die urälteste Herausforderung ist, die es in der Oper gibt. Das Schauspiel soll nicht von Musik unterlegt sein, sondern beide Elemente sollten gleichwertig zum Tragen kommen, genauso wie die Regie und die Inszenierung. Das gesamte Stück steht auf verschiedenen Säulen.
Musik wurde zur Zeit der Viktoria Savs auch als Propagandamittel eingesetzt…
Der Begriff der Propaganda ist erst im Nationalsozialismus so richtig aufgekommen. Aber effektiv hatte die Musik schon im Ersten Weltkrieg diese Rolle übernommen. Die Soldaten sind damals mit Marschmusik und begleitet von Kriegsliedern ins Schussfeld gerannt. Die Menschen wurden auf diese Weise fanatisiert und umso mehr ist die Rolle der Musik in diesem Stück äußerst wichtig. Ich habe mir Vieles aus jener Zeit angehört und einige Elemente miteinfließen lassen.
Viktoria Savs galt damals als Heldin. Wie wird mit dem Begriff „Heldentum“ im Stück umgegangen?
Viktoria Savs ist als Heldenmädchen bezeichnet worden und als solche auch von den Nationalsozialisten instrumentalisiert worden. Natürlich kommt der Begriff „Heldentum“ immer wieder vor, aber werten tun wir ihn nicht, das überlassen wir dem Publikum. Natürlich enthält die Geschichte fiktionale Elemente, aber wir zeigen auch auf, was damals passiert ist und was historisch nachweisbar ist. Jeder kann dann für sich selbst entscheiden, ob diese Figur als Heldin, Antiheldin oder etwas gänzlich anderes zu betrachten ist. Aus diesem Grund spiegelt sich Viktoria Savs im Stück in verschiedenen Figuren wieder, von denen jede einen Teil ihrer Persönlichkeit reflektiert. Denn so sind wir Menschen: wir haben viele Facetten.
[Adina Guarnieri]
ZUR PERSON: Manuela Kerer (*1980 Brixen) hat am Tiroler Landeskonservatorium in Innsbruck Komposition und Geige studiert, darüber hinaus hat sie einen Abschluss in Rechtswissenschaften und Psychologie. Sie hat für ihre Werke zahlreiche Preise erhalten, darunter den Förderpreis Walther von der Vogelweide und das Österreichische Staatsstipendium für Komposition.
ZUM STÜCK: „Toteis“ setzt sich mit der Figur der Viktoria Savs auseinander, die auch nach 1945 als Verfechterin längst überkommener Werte auftrat. Das Stück zeigt eine gealterte Heldin, vergessen, die auf einem Veteranentreffen die Geister der Vergangenheit wiederaufleben lässt. Savs steht stellvertretend für jenen Fanatismus, der im vergangenen Jahrhundert Viele geblendet und Hass in Europa geschürt hat. Die Oper von Manuela Kerer und dem Librettisten Martin Plattner ist eine Koproduktion von Neue Oper Wien, Vereinigte Bühnen Bozen und der Stiftung Haydn.
Termin: „Toteis“, am 13. und 15. März 2020 im Stadttheater Bozen. LEIDER ABGESAGT
Info: www.haydn.it.