Schmetterlinge im Bauch
Die Theaterfreuden zwischen Valentinstag und Fasching
2020 ist ein Schaltjahr, deshalb gewinnt der Februar einen Tag dazu. Das heißt, 24 Stunden mehr Zeit, um sich gemächlich in die Sessel, die die Welt bedeuten, zu kuscheln.
Und dort können Sie sich berieseln lassen, beispielsweise vom „politisch brisanten Kleinbürger-Psychogramm“ des Hosea Ratschiller, der in der Dekadenz Brixen gastiert (7.-8.02.). Der österreichische Kabarettist, der über die Grenzen seines Heimatlandes auch als Radiomoderator und Schauspieler bekannt ist, tretet mit seinen satirischen Pointen dem Ernst des Alltags und der allgemein grassierenden Untergangsstimmung entgegen – unter Zuhilfenahme pubertierender Haie und störrischer Staubsauger. Eine Reise ins grotesk Ungewisse erwartet Sie!
Ebenfalls auf Reisen geht die Truppe vom Stadttheater Bruneck, die mit „Oleanna“ von David Mamet in der Dekadenz (14.-15.02.) und im Carambolage Bozen haltmacht (28.-29.02.). Regisseur Claus Tröger inszeniert ein Stück, in dem die (doppeldeutige) Macht der Worte in den Mittelpunkt des Geschehens rückt. John steht kurz vor einer Professur auf Lebenszeit. Als ihm die Studentin Carol bittet, ihr beim Lernen unter die Arme zu greifen, lässt er sich hilfsbereit darauf ein. Doch die vermeintlich harmlosen Zusammentreffen der beiden geraten jäh ins Straucheln, Anschuldigungen kursieren und es ist von sexueller Nötigung die Rede. Die Wahrheit wird zur Ansichtssache. Das Stück wurde 1992 uraufgeführt, dennoch ist das Thema aktueller denn je.
Bleiben wir in der Carambolage, denn Eros Ramazzotti macht hier Urlaub. Sie glauben es nicht? Am 6. Februar können Sie sich davon überzeugen, zumindest verspricht das die Theaterserie „Selfies einer Utopie“, welche 2016 am Staatsschauspiel Dresden entstanden ist. Die Spielregeln sind einfach: Nicola Bremer schreibt jeden Monat einen neuen Text, die SchauspielerInnen sprechen diesen blind und müssen dabei spontane Regieanweisungen umsetzen, die auf in die Höhe gehaltenen Schildern stehen. Die Bühne wird zu einem anarchischen Versuchsraum, den man erlebt haben muss. Und falls das Theater nach diesem Spektakel noch stehen sollte, würde Volker Gerling gern sein „Bilder lernen laufen, indem man sie herumträgt” präsentieren (7.-8.02.). Gerling ist 4.000 Kilometer durch Deutschland gewandert und hat dabei Menschen in Form von Daumenkinos porträtiert. Auf der Bühne projiziert er die Bilder und erzählt mit viel Feingefühl von den großen, kleinen, ernsten und skurrilen Begegnungen. Etwas brutaler geht es indes bei Christoph Fritz zu, der es faustdick hinter den Ohren hat. Der Programmtitel „Das jüngste Gesicht“ (20.-21.02.) spielt auf sein unschuldig wirkendes Äußeres an, davon sollte man sich aber nicht täuschen lassen. Alles begann in einem kleinen Dorf, wo Veganismus als Einstiegsdroge gilt. Heute streift er mit verschwörerischen Gedanken umher und hinterlässt mit seinem schwarzen Humor Spuren der Entrüstung, Verzweiflung und, last but not least, der satirischen Erkenntnis. Und haben wir nicht was vergessen? Das Improtheater! Dieses widmet sich am 14. Februar, wie könnte es anders sein, den „Love Stories“ im Publikum. Am Valentinstag wird hier schonungslos mit den Schmetterlingen im Bauch abgerechnet.
An der Liebe zweifelt man auch im Theater an der Etsch in Neumarkt, wo die diesjährige Winterproduktion im Mesnerhaus mit „Kleine Eheverbrechen“ von Eric Emmanuel Schmitt aufwartet (ab 2.02., Regie: Roland Selva). Lisa und Gilles sind seit 20 Jahren verheiratet, als er auf mysteriöse Weise sein Gedächtnis verliert und seine Frau nicht mehr erkennt. Ist sie es wirklich? Was für eine Ehe führten sie? Beunruhigt und amüsiert zugleich lauscht er dem wundervollen Portrait, das Lisa von ihm, ihrem Zusammenleben und ihrer Liebe zeichnet. Doch wenn Lisa nun lügen würde? Waren sie tatsächlich so verliebt, so glücklich? Ein faszinierendes Vexierspiel, in dem sich zwei Personen einen erbitterten Schlagabtausch liefern und das Vorangegangene auf den Kopf gestellt wird.
Einige Verwirrung herrscht auch im „Hotel Paradiso“, einem Familienbetrieb in den Bergen, der seine besten Jahre hinter sich hat. Der Sohn des Hauses träumt von der Liebe, das Dienstmädchen klaut und der Koch mordet. Ein Alpen-Traum, der schwärzer nicht sein könnte und ganz ohne Worte auskommt. Das Stück von Regisseur Michael Vogel wurde schon 2016 in Bozen gezeigt, wegen der großen Nachfrage steht es nun erneut auf dem Programm (5.02. Forum Brixen, 6.02. Stadttheater Meran, 7.02. Kulturhaus Schlanders).
Von der Fiktion kommen wir nun zur Realität, denn was in „Patentöchter“ erzählt wird, ist eine wahre Geschichte (12.-13.02 Waltherhaus Bozen, Regie: Gernot Grünewald). Jürgen Ponto und Hans Christian Albrecht besiegeln ihre Freundschaft durch die gegenseitige Patenschaft für ihre Töchter. 1977 steht Patentochter Susanne Albrecht mit zwei Mitgliedern der RAF vor Pontos Tür, er öffnet sie und wird erschossen. Corinna Ponto ist 20 Jahre alt, als ihr Vater ermordet wird. Julia Albrecht ist 13, als ihre Schwester zur Attentäterin wird. Nach vielen Jahren geht Julia auf Corinna zu und zwischen den beiden entspannt sich ein Briefwechsel, der der RAF-Geschichte eine neue Perspektive hinzufügt: die der privaten Kollateralschäden.
Die große Geschichte durch das Schicksal des Einzelnen veranschaulichen, das macht auch die Theateradaption von Joseph Roths Roman „Radetzkymarsch“, den die Vereinigten Bühnen Bozen präsentieren (ab 8.02.). Der junge Carl Joseph von Trotta ist auf Wunsch seines Vaters Soldat der noch blühenden k.u.k. Monarchie geworden. Carl dient zwar in der Armee, wäre aber am liebsten Bauer. Die Uniform empfindet er als Last, er sehnt sich nach Freiheit und träumt von einem besseren Leben. Alkohol und Frauen sind schlussendlich sein Trost, der Erste Weltkrieg sein Ende. Im Aufstieg und Fall einer Familie spiegeln sich die letzten Dekaden der Donaumonarchie. Nicht umsonst ist „Radetzkymarsch“ ein Jahrhundertroman.
[Adina Guarnieri]