Im Bann der tiefen Töne
Die Jazz-Bassistin Ruth Goller im Gespräch
Ruth Goller wollte Musik machen – mit 18 Jahren zog sie deswegen nach London und studierte an der renommierten Middlesex University. Nun tourt sie mit ihrer Band und dem Album „Skylla“ durch Großbritannien, das „The Guardian“ zu den zehn besten Jazzalben des vergangenen Jahres zählt.
Warum bist du im Alter von 18 Jahren nach London gezogen?
Musik faszinierte mich immer schon – während meiner Schulzeit habe ich auch in verschiedenen Bands gespielt und mir war rasch klar, dass ich Musik studieren möchte. Wo, wusste ich nicht, bis ich durch einen Bekannten von einer Musikschule in London erfahren habe, rein zufällig. Also habe ich kurzerhand dort angerufen und wurde für einen einjährigen Anfängerkurs aufgenommen. In dem Jahr war ich täglich etwa zehn Stunden an der Schule, lernte viel über Harmonielehre, probierte mich in unterschiedlichen Genres aus und entwickelte bald eine Vorliebe für Jazz und improvisierte Musik.
Der Bassist von Deep Purple Roger Glover, der ehemalige Schlagzeuger der Babyshambles Adam Ficek und der Musiker Adam Ant studierenten schon an der Middlesex University, genauso wie später dann du …
… und es war eine fabelhafte Zeit. Ich habe so viele Menschen getroffen, die dieselbe Musik wie ich machen wollten, und konnte so in diese Szene eintreten. Ohne mein Studium wäre das für mich in einer Großstadt wie London ungleich schwieriger gewesen.
Als Bassistin spielst du die tiefen Töne – woher rührt deine Faszination daran?
Immer schon empfand ich höhere Töne etwa von Geige oder Klarinette als zu laut. Gerade auch charakterlich passen die tieferen Töne wesentlich besser zu mir – ich bin bodenständig und auch gerne im Hintergrund, halte die Gruppe zusammen, genauso wie der Bass in einer Band Melodie und Rhythmus zusammenhält. Klar, mit meiner Band stehe ich auch im Vordergrund, aber wir sind im Trio gleichberechtigt, es gibt keine Frontwoman und auf der Bühne fühlt es sich auch nicht so an, als stünde ich im Zentrum der Aufmerksamkeit.
„The Guardian“ zählt dein Album „Skylla” zu den zehn besten Jazzalben des vergangenen Jahres. Was macht es so besonders?
Das zu beurteilen, ist für mich natürlich nicht einfach, weil ich gar nicht objektiv sein kann. Häufig bekomme ich die Rückmeldung, dass der Sound so noch nie gehört worden sei – vor allem deshalb, weil ich viel durch Improvisation geschaffen habe. Drei Stimmen und ein elektrischer Bass, zudem verwende ich für den Bass bei jedem Song eine andere Tonart – auch das ist neu und unkonventionell.
Es fällt schwer, dein Album einem bestimmten Genre zuzuordnen – was hat dich inspiriert?
Nicht nur Musik beeinflusst mich, sondern auch die Erfahrungen, die ich mache, wo ich aufgewachsen bin. Kurioserweise meinten manche, sie würden in den Liedern die Alpen hören, was ich so gar nicht wahrnehme. Dabei ist die Natur für mich sicherlich eine wichtige Inspirationsquelle. Musikalisch inspirieren mich Jazz und Improvisationen, genauso wie mein Mitwirken in anderen Bands. Die Lieder für das Album sind auch improvisiert entstanden, der erste Song etwa nach einem Flug – ich habe einfach den Bass hervorgeholt, die Saiten waren verstimmt und ohne nachzudenken habe ich die Melodie kreiert. Im Grunde ist vieles zufällig entstanden, pur und rein.
Kann es gelingen, mit Jazz ein breites Publikum anzusprechen?
Manche Jazzszenen sind vielleicht im Mainstream angekommen, aber Jazz ist ein sehr breitgefächerter Begriff und bedeutet für mich etwa Improvisation. In jedem Fall ist es ein Nischengenre, gerade auch weil es in Radio und Fernsehen mittlerweile nicht mehr sehr präsent ist.
Im Februar tourst du durch Großbritannien – schon aufgeregt?
Tatsächlich ja, vor allem habe ich Angst davor, dass Auftritte pandemiebedingt abgesagt werden könnten. Aufgeregt auch, weil ich das erste Mal in meinem Namen auf Tournee gehe. Bisher habe ich bloß mit anderen Bands getourt, nun bin ich auch gleichzeitig für die Organisation verantwortlich.
Es gibt unbestritten weniger Frauen als Männer, die professionell Bass spielen. Hast du Sexismus in der Musikbranche erlebt?
Sexismus existiert in unserer Gesellschaft und ganz klar auch in jeder Branche, die von Männern dominiert wird. Mir wurde aber nie signalisiert, dass ich aufgrund meines Geschlechts nicht gleichrangig wäre. Wurde ich ungerecht behandelt, habe ich als Mensch darauf reagiert, nicht als Frau. Aber natürlich gilt es, Sexismus in der Musikbranche zu bekämpfen. Was ich tun kann, ist es so gut wie möglich in dem zu sein, was ich tue. Und so sehe ich mich indirekt auch als Vorbild für Frauen, die in der Musikbranche Fuß fassen möchten.
Am 26. Juni tritt Ruth Goller mit ihrer Band Skylla beim Jazzfestival im Sudwerk im Batzenhäusl Bozen auf.
[Angelika Aichner]