Queerfeindlichkeit auf dem Lande
Der Regisseur Joachim Gottfried Goller im Gespräch
Joachim Gottfried Goller, 29 Jahre alt, ursprünglich aus Kastelruth, nahm vor gut fünfzehn Jahren am Kiddy Contest teil – und wollte damals noch Musicaldarsteller werden. Mittlerweile lebt er in München und fühlt sich hinter der Bühne daheim. Aktuell führt er Regie beim an der Dekadenz in Brixen wiederaufgenommenen Stück „Tom auf dem Lande“ und spricht über die Schwierigkeiten sich in einer heteronormativen Gesellschaft zurechtzufinden.
Aktuell führst du Regie beim Theaterstück „Tom auf dem Lande“ – gerade in einer Zeit, in der das Zan-Gesetz, das unter anderem Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ahnden sollte, gescheitert ist.
Das Stück lag schon länger in meiner Schublade; ich wollte es unbedingt in Südtirol inszenieren. Auf den heimischen Bühnen fehlten mir queere Identifikationsfiguren. Gerade in Südtirol nehme ich Widerstände wahr, wenn Alternativen zu einer heteronormativen Lebensweise thematisiert werden. Abschätzige Aussagen und Witze auf Kosten von queeren Menschen sind leider nicht ungewöhnlich. Eine Woche vor der Premiere von „Tom auf dem Lande“ wurde ein junger Mann in Bruneck verprügelt – weil er schwul ist. Ganz klar ist die Thematik also hier und heute relevanter denn je.
Du bist als homosexuell gelesener Mann in Kastelruth aufgewachsen. Wie konntest du dich in einer Gesellschaft zurechtfinden, die sich teilweise immer noch schwer tut mit der Akzeptanz von queeren Lebensweisen?
Tatsächlich outete ich mich vergleichsweise spät – im Alter von 23 Jahren und als ich längst nicht mehr in Südtirol lebte. Den Gedanken, ich könnte nicht heterosexuell sein, habe ich lange Zeit nicht zugelassen, weil mir die Identifikationsfiguren fehlten und das Konzept einer queeren Lebensweise in meinem gesellschaftlichen Umfeld nicht stattgefunden hat. In Südtirol wird leider oft noch ein Weltbild vertreten, das aus meiner Perspektive einem heutigen Verständnis von Geschlechteridentität und sexueller Orientierung nicht entspricht. Das mag polemisch klingen, aber für viele ist allein das Konzept von Mann und Frau gültig. Zwar wird wahrgenommen, dass es auch nicht heterosexuelle Menschen gibt, diese werden jedoch immer als die Anderen betrachtet, als nicht der Norm entsprechend, als abnorm. Wäre ich in einem anderen Kontext aufgewachsen, wäre ich vielleicht experimentierfreudiger gewesen.
Musstest du also ins Ausland gehen, um zu dir selbst zu finden?
Ich brauchte die Anonymität der Stadt, um mich ausprobieren zu können. Natürlich ist das auch in Südtirol möglich, findet hier aber vornehmlich über Onlineportale statt. Man trifft sich irgendwo auf einem Parkplatz, immer darauf bedacht, von niemandem gesehen zu werden. Mir fehlte die Ruhe, um in mich hineinzuhorchen und mich nach meinen Bedürfnissen zu befragen. Das Geflecht in Südtirol war mir zu eng und ich hatte hier schon so viele Entscheidungen getroffen, an denen ich nicht zu rütteln wagte. Oft denke ich an mein 21-jähriges Ich zurück, das sich nicht eingestehen konnte, schwul zu sein, weil es die Frage nach der sexuellen Orientierung längst schon beantwortet hatte. Es erschien mir damals unmöglich, eine neue Tonart anzuschlagen. Ich war immer schon so wie ich bin, aber ich brauchte sehr lange, um mich zu finden – vor allem wegen der bedrückenden Enge, die ich in Südtirol so empfunden habe.
Werden nachkommende Generationen gelassener mit der Frage nach Geschlechteridentität und sexueller Orientierung umgehen?
Oh ja! Ich hoffe auch auf eine Zeit, in der auf der Bühne nicht mehr die Frage beantwortet werden muss, weshalb ein Charakter schwul sei, und die sexuelle Orientierung nicht als Problem betrachtet wird, sondern als Tatsache, die zunächst über die Persönlichkeit eines Menschen rein gar nichts aussagt. In dieser Hinsicht sehe ich mich in der heimischen Theaterszene als eine Person, die das einbringen und in diese Richtung wirken kann.
„Tom auf dem Lande“ feierte in Brixen Premiere – coronabedingt mussten weitere Aufführungen abgesagt werden...
...und die Wiederaufnahme war mir ein wichtiges Anliegen. Nicht, weil ich mich künstlerisch enorm verausgabt hätte. Tatsächlich habe ich selten ein Stück so pur und schnell inszeniert. Aber ich bin ganz einfach glücklich mit dem Resultat. Von queeren Menschen habe ich durchwegs positive Rückmeldungen erhalten – sie fühlten sich repräsentiert. Und jene, die im Publikum saßen und sich mit queeren Lebensformen bis dato noch nicht auseinandergesetzt hatten, wurden an die Thematik herangeführt, ohne überfordernd zu sein. Ich will auch gar nicht mit dem erhobenen Zeigefinger herumwedeln, denn für viele spielt auch eine gewisse Angst mit, wenn sich Bilder von einer heteronormativen Gesellschaft, denen sie nachgeeifert sind, plötzlich verändern. [Angelika Aichner]
ZUM STÜCK
Der junge Werbetexter Tom reist von der Großstadt zur Beerdigung seines Liebhabers in die Provinz. Dessen Mutter Agathe ahnte nichts von der Homosexualität ihres Sohnes und sieht in Tom einen Arbeitskollegen des Verstorbenen. Der ältere Bruder Francis hingegen tut alles, um die Wahrheit zu verheimlichen – auch vor Gewalt schreckt er nicht zurück. www.dekadenz.it