Buntes Laub, bunte Bühnen
Das deutsche Theater im Herbstmonat Oktober
Es geht wieder los: war der September eher zögerlich besetzt, bietet der Oktober nun eine reich gemischte Auswahl an Vorführungen, die richtig Lust auf lauschige Theaterabende machen.
Beginnen wir im äußersten Osten des Landes, im Stadttheater Bruneck. Hier tritt die Truppe mit dem wohl coolsten Namen der Saison auf: Das Feinripp Ensemble. Und bei einer solch edlen Namensgebung kann der Titel der Darbietung nicht minderbedeutend sein: Die Bibel (19.-20.10., Regie: Susi Weber). Das Buch der Bücher ist mit seinen 1.189 Kapiteln kein handliches Taschenbuch. Mehrstündige Filmepen mit hunderten Statisten haben bislang nur Auszüge aus der Heiligen Schrift auf die Leinwand gebracht. Doch wenn das Ganze zwischen zwei Buchdeckel passt, dann sollte sich Gottes Werk doch auch auf einer Theaterbühne vollbringen lassen. Thomas Gassner, Markus Oberrauch und Bernhard Wolf fegen durch das Alte und Neue Testament, sie spielen, sie singen, sie tanzen – wagemutig und nie blasphemisch, bieten sie theatralischen Katechismus vom Feinsten.
Etwas weiter südlich, in Brixen, widmet sich die Dekadenz einem Mammutprojekt: dem Brennerbasistunnel, kurz BBT. wir: im berg (ab 7.10.) ist eine performative Kartierung des Tunnels, entstanden als Koproduktion mit dem Innsbrucker Theaterverein Triebwerk7. Internationalität und Fortschrittsglauben, oder ein niemals endendes Sisyphus-Projekt? Theaterschaffende aus Nord- und Südtirol haben mit Menschen gesprochen, die am BBT arbeiten oder ihn verhindern möchten, sie haben Baustellen besucht, Archive studiert. Miriam Unterthiner hat Texte dazu verfasst, nun setzt Regisseurin Michaela Senn diese performativ in Szene. Ein vielstimmiger Theaterabend, der das größte Tunnelbau-Projekt der Menschheitsgeschichte in unserer kleinen Alpenregion unter die Lupe nimmt.
Im Theater in der Altstadt Meran steht ein Klassiker von Eugène Ionesco auf dem Spielplan: Der König stirbt (ab 11.10., Regie: Christina Khuen). Behringer ist König, aber seine Regentschaft hat wenig Adeliges an sich. Er ist ein Herrscher ohne Land, ohne Untertanen, ohne Macht. Sein Reich ist dem Verfall preisgegeben, die Palastwände bröckeln. Und dann wird auch noch eine tödliche Krankheit festgestellt, gegen die niemand etwas zu vollbringen vermag. Behringer flüchtet sich in seiner Ohnmacht in die Idealisierung der Vergangenheit, um so das Trugbild absoluter Kraft aufrechtzuerhalten, doch kann das gut gehen? „Der König stirbt“ ist eine groteske und zugleich gnadenlose Parabel über die Vergänglichkeit und das menschliche Leben, über das Patriarchat, gesellschaftliche Normen und, wie könnte es anders sein, über Liebe und Tod.
Internationales Theater steht bei den Vereinigten Bühnen Bozen auf dem Programm. Underground Birds (ab 01.10., Regie: Robert Schuster) ist ein länderübergreifendes Stück, bei dem über zwanzig Künstler:innen aus Norwegen, Frankreich, Israel, Italien, Südtirol und Afghanistan mitwirken. London 1517: die Stadt wird von einem Aufstand erschüttert. Junge Menschen protestieren, weil ihre Arbeit fortan von auswärtigen Arbeitskräften erledigt werden soll. Sie brennen die Häuser der Zugezogenen nieder, als plötzlich ein Splitter das Herz eines Londoner Handwerkers durchdringt und es für die gute Sache entflammt. Im Jahr 2022 versuchen Azar und ihre Schwestern hingegen aus dem afghanischen Untergrund auszubrechen. Kraft ihrer Phantasie machen sie sich auf den Weg zu ihrem Sehnsuchtsort, der für sie Rettung verheißt. Werden sie diesen je erreichen?
Auch das Südtiroler Kulturinstitut hat im Oktober wieder einiges zu bieten: den Anfang macht Felix Krull, die Romanadaption von Thomas Manns „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ (5.-6.10. Waltherhaus Bozen, Regie: Bastian Kraft). Krull ist ein wortgewandter Betrüger, hat Talent fürs Lügen und wickelt sein Publikum ohne Aufhebens um den kleinen Finger. Auf diese Weise entzieht er sich geschickt dem Militär, verführt die Pariser Damenwelt und tauscht mit dem Marquis de Venosta seine Identität. 2012 war die Produktion des Münchner Volkstheaters bereits in Südtirol zu Gast und erhielt damals den Publikumspreis des Südtiroler Kulturinstituts. Musikalisches im Sinne von Arthur Schnitzlers Reigen gibt es in Schlanders und Brixen zu sehen (11.-12.10.). Bei der Uraufführung 1920 lösten Schnitzlers Variationen über den Beischlaf einen Skandal aus, der zum Aufführungsverbot führte. Heute wirken sie als unterhaltsames Psychogramm, vor allem, wenn Musicbanda Franui ein Drama mit Musik daraus macht. Kein Konzert, keine Lesung, keine Theateraufführung – einfach nur ein durch und durch gelungener Abend. Aus den Oktober begleiten uns anschließend die Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach (20.10 Stadttheater Meran, 21.10. Waltherhaus Bozen). Pianistin Ragna Schirmer widmet sich bereits ein Leben lang dieser Komposition und präsentiert mit dem Puppentheater Halle eine einzigartige Interpretation, die zu verzaubern vermag.
Das Carambolage Bozen eröffnet die Saison mit BOOM BOOM, eine Theater-Collage zum Thema „Leben mit angeborenem Herzfehler“ (ab 4.10., Regie: Stefanie Nagler). Gemeinsam mit „Kinderherz – Verein für herzkranke Kinder“ wurden in den letzten Monaten Ideen, Texte, Erlebnisse, Emotionen und Bilder bei Betroffenen gesammelt. Auf der Bühne erzählen nun Katharina Gschnell und Elisabeth Ramoser die Geschichten dieser jungen Menschen und gehen der Frage nach, welches Leben und welche Realitäten sich hinter dem Wort „herzkrank“ verbergen. Zwischen dem 13. und 27. Oktober wird 72 Stunden – Eine Anklage von Barbara Plagg zur Aufführung gebracht. Das Stück ist eine Koproduktion vom Stadttheater Bruneck, Carambolage sowie TidA Meran und widmet sich einem brisanten Thema: Jeden dritten Tag stirbt in Italien eine Frau durch die Hand eines Mannes. Diesem Phänomen liegen gesellschaftliche und strukturelle Umstände zugrunde, die Frauen tagtäglich in Gefahr bringen. Rund um die Figur von Eva spinnt Barbara Plangg ein Netz von Fragen, Irritationen, Betroffenheit, Ignoranz und fehlender Zivilcourage mitten durch einen kleinstädtischen Figurenreigen: Wäre dieser Feminizid, der sich lange ankündigte, zu verhindern gewesen?
[Adina Guarnieri]