„Mein Instrument hat mich gefunden“
Zwischen Oper und Kammermusik: die Bozner Bratschistin Adelheid Dalvai
Adelheid Dalvai wurde in Bozen als Älteste von zehn Kindern geboren. Sie entstammt einer musikbegeisterten Familie. „Mein Vater ist ein Musikgenie“, sagt sie heute. Er brachte die damals Elfjährige zur Musik.
Immer schon wurde in der Familie Dalvai musiziert und sehr viel gesungen. „Mein Vater hat ein unglaubliches Gehör“, sagt Adelheid, deren Freunde sie Heidi nennen. „Er hat sich selber beigebracht, Gitarre und Zither zu spielen. Außerdem jodelt er unglaublich gut.“ Mit seinem Können erntete er viel Beifall und Bewunderung. „In der fünften Klasse bekamen wir einen Prospekt, in dem stand, dass man die Mittelschule auch im Konservatorium besuchen konnte. Da schrieb mich mein Vater kurzerhand ins Fach Geige ein“, sagt Heidi Dalvai. Im Zuge des Studiums wechselte Dalvai von der Geige zur Bratsche: „Da wusste ich, das ist mein Instrument. Es hatte mich gefunden.“ Alle ihre Geschwister lernten ein Instrument; einige sind wie Heidi Berufsmusiker geworden. Noch heute kommt die Familie regelmäßig zum gemeinsamen Singen zusammen.
Stelle in Mailand, Studium in Wien
Adelheid Dalvai hat auch eine Ausbildung zur Astrologin absolviert, aber sich „ausgebildete Astrologin“ zu nennen, findet sie vermessen: „Man ist nie ausgebildet, hat nie ausgelernt.“ Das empfand sie schon als junge Musikerin so. Selbst als sie nach dem Studium die Aufnahmeprüfung für das Teatro alla Scala in Mailand geschafft hatte und ihr eine fixe Stelle im Orchester sicher war, fühlte sie sich unreif und wollte erst noch weiterlernen, um sich zu verbessern. Sie erwirkte eine Auszeit von zwei Jahren – „unvorstellbar heute“ – und machte sich auf nach Wien, um mit Siegfried Führlinger Bratsche zu studieren. „Das war wie eine Offenbarung für mich“, erinnert sich Dalvai. „Ich sah dort, wie man um des reinen Musizierens willen Musik machen konnte, ohne jegliche Rivalitäten.“
Das Veto des Maestro Abbado
Nach ihrer Rückkehr nach Mailand wollte man sie erst wieder zur Aufnahmeprüfung bitten – nachdem sie in der Zwischenzeit sogar gekündigt hatte –, doch Maestro Claudio Abbado schritt ein und sagte: „Den Wettbewerb hat sie ja schon gewonnen. Eine Probezeit tut’s auch.“ Und so durfte die junge Heidi nach bestandener Probezeit wieder an ihre Stelle als Viola di fila zurückkehren. Und dort blieb sie auch – für über 30 Jahre.
Oper und Kammermusik
Als Mitglied des Orchesters an der Mailänder Scala ist man natürlich mit Opernmusik vertraut. Doch auch die Kammermusik hat es Heidi Dalvai angetan. Die Frage, welches denn reizvoller sei, findet sie schwierig: „Wenn man vollkommen in einem Orchester integriert ist, die unglaubliche Energie eines solchen Klangkörpers spürt und Teil davon ist, dann fühlt es sich an wie in einer anderen Welt. Eine Wagner-Oper zum Beispiel mit einer Dauer von rund fünf Stunden entführt dich in eine andere Dimension. In der Kammermusik hingegen hörst du dich selbst viel besser und bist auf andere Weise mehr gefordert.“ 2013 ging Heidi Dalvai in Pension, doch statt kürzerzutreten, musiziert sie weiterhin mit verschiedenen kammermusikalischen Ensembles.
Orchester Südtirol Filarmonica
Heidi Dalvai lebt nach wie vor in Mailand, doch zu Hause, in Südtirol, zu spielen, empfindet sie als wunderbar. „Ich hatte öfter schon die Gelegenheit, so auch mit der sehr engagierten Violinistin Johanna Wassermann, welche ein tolles Orchester auf die Beine stellte, mit dem wir in Toblach aufgetreten sind.“ Im Jahr 2021 musizierte Dalvai mit dem neu gegründeten Orchester Südtirol Filarmonica, ebenso wie ihre Schwester Christine und ihr Sohn Martin Pratissoli, beide Cello. Bei der Frage, wie sich denn Jung und Alt in so einem Orchester gegenüberstehen, gerät Heidi Dalvai ins Schwärmen: „Die jungen Musikerinnen und Musiker spielen so gut, da kann man nur staunen. Ich bewundere sie, denn sie sind unglaublich gut drauf. Überhaupt war das ein ganz wunderbares Projekt und hat unheimlich viel Freude gemacht.“ Ältere Musiker/-innen brächten eben ihre ganze Erfahrung mit dem Repertoire mit ein. Heute übe sie vielleicht sogar mehr als früher, sagt sie, denn: „Ich bin froh und dankbar für alles, was ich je in meinem Leben gelernt habe und lernen darf.“
[Sibylle Finatzer)
ZUR PERSON
Adelheid Dalvai, Bratsche
Geboren in Bozen
Studium in Bozen und Wien, Meisterkurse bei Ulrich Koch
Orchestermitglied an der Mailänder Scala